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Moch'ma! - Moch'ma mit!

Ein kurzer Besuch im Wiener Integrationshaus, 6. Februar 1996.

Denn wie sich eine Gesellschaft gegenüber Fremden, gegenüber Schutzbedürftigen verhält, daran erkennt man ihren Wert.

Wien, 2. Bezirk. Engerthstraße 161 - 163. Ein riesiges Haus zwischen anderen riesigen Häusern. Davor: 19 SchülerInnen und ein Steyrer Museumspädagoge. Ihnen allen sind Freiheit & Toleranz keine Fremdworte - und Fremde kein Problem. Noch während sie die Stufen zum Eingang hinaufsteigen, wissen sie, daß ihnen die Zeit viel zu knapp werden wird. Eine halbe Stunde nur bleibt ihnen für die Besichtigung. Zwei Stunden wären notwendig. Nichtsdestotrotz und mit umso zielstrebigeren Schritten treten sie ein. Die Tür ist offen.

Drinnen. Ljubomir Bratic - er wird die jungen, wißbegierigen Leute in der Folge durch das Gebäude führen - macht seine Begrüßung so kurz wie möglich: "Herzlich Willkommen im Integrationshaus!" Dann bittet er seine Gäste auch schon weiter. In einem Seminarraum hat er Broschüren aufgelegt zur freien Entnahme. Und er hat einiges zu erzählen. Das Wiener Integrationshaus, erzählt Bratic, ist ein Modellprojekt und europaweit einzigartig. Hier wird Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf geboten und praktische Hilfe gleich dazu: Deutschkurse, Unterstützung bei der Arbeitssuche, psychotherapeutische Beratung und vieles mehr.

Das Integrationshaus versteht sich darüber hinaus aber auch als Denkfabrik. "Wir möchten eine bestimmte Sicht der Dinge durchsetzen und die Gesellschaft verbessern." Bratic muß lachen, weil er weiß, das klingt utopisch. Gerade in Zeiten wie diesen, wo Menschlichkeit zu einem Sparpaket zusammengeschnürt ist. Wo es mit der Freiheit auch an sozialen Grenzen schnell zu Ende ist. Man muß versuchen die Gesellschaft zu verbessern, mit gutem Beispiel voranzugehen.
"Denn wie sich eine Gesellschaft gegenüber Fremden, gegenüber Schutzbedürftigen verhält, daran erkennt man ihren Wert, das ist ihre Visitenkarte."

Willi Resetarits vor dem Wiener Integrationshaus Dieser (be-) merkenswerte Satz steht auf dem Titelblatt jener Zeitung, die vom Verein Projekt Integrationshaus an sämtliche Wiener Haushalte verschickt worden ist. Das Vorwort gehört dem Vereinsobmann. Und das ist kein geringerer als Willi Resetarits. Willi Resetarits ist gleich Kurt Ostbahn. "Liebe Damen und Herren", schreibt er editorial, "helfen Sie mit! Mit ihrem Bekenntnis zum menschlichen Umgang mit den Benachteiligten in unserer Gesellschaft - wurscht, ob In- oder Ausländer - setzen sie ein Zeichen gegen die Barbarei, die sich immer mehr ausbreitet."

Die SchülerInnen haben mittlerweile Platz genommen. Sie hören gerade, wie das Integrationshaus funktioniert. Neun hauptberufliche Mitarbeiter gibt es hier, vier davon kümmern sich direkt um die Bewohner. Bratic: "Jeder Betreuer betreut acht Familien und entwickelt gemeinsam mit ihnen einen Fahrplan für die nächsten Monate." Denn innerhalb von zwei Jahren müssen es die Flüchtlinge geschafft haben, sich auf die eigenen Füße zu stellen - eigene Wohnung, Arbeit, eigenes Leben. Solange sie im Integrationshaus, das für etwas mehr als 110 Leute Platz bietet, wohnen, müssen sie sich an eine Haus- und Heimordnung halten. Für die Kinder steht ein mehrsprachiger Kindergarten zur Verfügung.

Kinder - wieder Mut zu lächeln? Die SchülerInnen haben jede Menge Fragen. Eine davon: Wer wird ins Integrationshaus aufgenommen? Bratic: "Da gibt es zuerst ein aufwendiges Auswahlverfahren." Familien, die aufgenommen werden möchten, müssen einen Antrag stellen; meistens machen das die Wiener Flüchtlingsbetreuer für sie. Ein Team von PsychologInnen trifft eine Vorauswahl und lädt jeden Bewerber zu einem Interview, das etwa zwei bis drei Stunden dauert. Das Gespräch wird der Auswahlkommission in schriftlicher Form vorgelegt. Die endgültige Entscheidung trifft schließlich der Vereinsvorstand. "Das dauert ein bis zwei Monate", sagt Bratic, "aber so ist es am objektivsten."

Blick auf die Uhr Zum Schluß geht die Exkursion hinauf in den ersten Stock. Die Bilder im Stiegenhaus wurden von namhaften Künstlern zur Verfügung gestellt. Sie sind großteils bunt und ermutigend. Dann geht es hinein in so eine Wohnung: Das ist nur ein Raum, jedoch groß und durch eine Wand geteilt in Wohn- und Schlafbereich. Eingerichtet mit einer Grundausstattung an Mobiliar: drei bis fünf Betten, Kästen, Tisch und Sessel, Garderobe, eine kleine Kochnische. Bratic: "Die Bewohner sollen ihre eigenen Geschmäcker pflegen dürfen." Von Luxus ist hier allerdings keine Spur. Duschen und Toiletten sind draußen am Gang.

Das war's. Ein Blick auf die Uhr beendet den Besuch. "Danke für die Gastfreundschaft." 19 SchülerInnen und ihr Begleiter vom Museum Arbeitswelt gehen hinaus ins Freie. Sie wissen es zu schätzen, auch wenn es draußen frostig ist und kalt. Und die Exkursion hat trotz aller Kürze zu denken gegeben. - Freiheit, Gleichheit, Menschlichkeit: Das Integrationshaus ist das Basislager auf dem Weg dorthin. Die Tür ist offen. Und was würde Integrationsobmann Ostbahn an dieser Stelle noch sagen? "Danke für die Aufmerksamkeit."


Aus: MUSEUM INDUSTRIELLE ARBEITSWELT - JOURNAL 5/96.
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