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??. Juni 1992


Der Standard, ??. 06. 1992, Seite A2f, von Johann Skocek

Das Beste am Kurt Ostbahn ist, daß man ihn nicht zu suchen braucht. Den Kurt kann keiner übersehen, weil er nämlich ein Signal ist. In Hallawachln wie ihm fangen sich die Kräfte eines weiten Feldes, bündeln sich in einen Punkt, und plötzlich wird sichtbar, spürbar, was noch einen Augenblick zuvor als ein vages Gefühl in der Luft lag: Die Revolution frißt ihre eigenen Eltern.

Das mit den Kindern war sowieso immer ein Schmäh. Kinder werden nie gefressen. Die Behauptung wurde von den Eltern selber vorgeschoben. Sie wollten Ruhe haben. Wenn es ihnen schon an den Kragen geht, brauchen sie nicht auch noch das Mitleid.

Eine Zeitlang funktionierte diese Strategie tadellos, doch eines Tages kam alles heraus. Es lag an der Zivilisation. Sobald der Spiegel im Badezimmer wichtiger wird als der Spiegel im Blut, ist es vorbei. Als durchsickerte, daß Mick Jagger mit Jogging angefangen hatte, blieb nur noch die Flucht ins Museale, in die Plattensammlung.

Dabei hätte uns das Schicksal der eigenen Eltern aus der Aufbaugeneration eine Lehre sein können. Die haben nach dem Krieg und der Besatzungszeit auch ganz flott angefangen, Elvis Presley 1955, die Bambis in ihrer wilden Zeit. Aber was haben sie daraus gemacht, was haben sie fürs Leben mitgenommen? Attila Hörbiger und Paula Wessely, Franz Antel, Teddi Podgorski. Nur Niederlagen.

Daraus hätte man lernen müssen. Nicht, weil die ewige Revolution so erstrebenswert ist. Revolution ist schrecklich anstrengend, sie bleibt Menschen, die viel freie Zeit und Kraft haben, vorbehalten, Jugendlichen, Studenten. Um nicht von der eigenen Revolution gefressen zu werden, bieten sich zwei Möglichkeiten.

Man kann leugnen, daß es je eine Revolution gegeben habe. Alles, was ein paar Depperte heute als solche hinstellen, war in Wahrheit die normale, lausbuben- bis lausmenschenhafte Aneignung der Welt durch uns Nachkommen. Ein bisserl laut, ein wenig verspielt, ein Schäuferl aggressiv hat man sich aufgeführt, aber deswegen braucht man sich doch heute nicht mehr streiten.

Die zweite Chance des Entkommens ist, sich als ewiges Kind auszugeben, auf daß die Revolution in ihrem Hunger nach Frischfleisch einen verschone. Soll sie die Nachbarn mit dem Mercedes und dem Volkstheater-Abonnement verschlingen.

Musikgruppen wie die Beach Boys können als Begleiter für beide Wege herhalten. Revolution war nie ihre Sache. Wer denkt mitten auf der Welle bei 93 km/h auf einem Holzbrett an gesellschaftlichen Umsturz? Und solange sie dreimal hintereinander "Fun" herausbringen, kann ihnen und den Zuhörern nichts passieren. Die Musik wirkt wie Merlins Zauberspruch, und jeder Sommer mit ihr ist der letzte in einer ewigen Reihe letzter Sommer.

Deswegen spielen die Beach Boys auch am 18.6. in Neusiedler Seestrandbad. Dort werden wir werden wie die eigenen Kinder und so soll der Mensch ja auch sein. Was nicht nur vor der Revolution schützt, sondern auch vor den eigenen Kindern.

Der Kurt Ostbahn hilft auf ganz andere Weise, auf erwachsene Weise. Denn der Kurt ist ein Spätberufener, und Kinder können das nicht sein, weil sie für späte Rufe zu zeitig dran sind. Der Kurt Ostbahn mag zwar in zartem Alter von 27 Jahren oder so, als blutjunger Rhythmusgitarrist hinter King Karasek, den Favorit´n Blues erfunden haben, als die Trockenheit der Wurstknödeln von den ausgetrockneten Gurgeln in die Fäuste fuhr. Damals wußte der Kurt aber selber noch nicht, was er der Welt zu geben hatte. Viel später erst ereilte ihn der Ruf, nachdem längst alles Kindliche ertränkt, alles Frühlingshafte abgestoßen war.

Evolutionsmäßig bildet der Ostbahn Kurt den Schlußpunkt einer Entwicklung, die in Elvis Presley den Einzeller, in den Rolling Stones die Dinosaurier und in schönen Gestalten wie den Velvet Underground, den Beatles und den Beach Boys ihre Schmetterlinge hervorbrachte. Elvis tat sich selber weg, die Stones fielen ihren eigenen Posen zum Opfer, die Beatles sublimierten sich zu Thesen über den Untergang des Abendlandes, die Velvet Underground verwandelten sich in Wiedergänger ihrer selbst. Die Beach Boys blieben die Kinder, die sie immer schon waren, mit Trenzerling und allem, was so dazugehört.

Der Kurt Ostbahn ist der erste Erwachsene. Er kam als Kopfgeburt zur Welt. Er will nichts neu oder anders machen, das heißt, ihm fehlt jede nervende umstürzlerische Attitüde. Der Kurt Ostbahn ist der erste Musikant, der sich an das Kind im Erwachsenen wendet und nicht an die Kinder der Erwachsenen. Das hat für die Eltern den großen Vorteil, daß sie den Vorsprung der Weisheit und Routine zu ihren Kindern auch im Konzert verteidigen können. Dafür lieben ihn die Erwachsenen.

Christian Seiler, der Schreiber des Buches OSTbahn KURTi + die CHEFpartie, auch ein gestandener Erwachsener, nahm aus der Bekanntschaft mit dem Kurt etwas für sein eigenes Leben mit. "Ich hab´ geglaubt, der Kurt tut nur so. Aber es ist alles noch viel härter, als man sich das vorstellen kann." Hier haben wir einen Menschen, der so ist, wie man sich vorstellt, daß er sein sollte. Wenn er wirklich der wäre, der er zu sein vorgibt. Woran kein Zweifel besteht. Denn anders wäre das gar nicht auszuhalten, was der Kurt so aushält.

In Begriffen der Revolution ausgedrückt, sieht die Sache so aus: Die Rolling Stones dienten als Instrument, die Befehlsgewalt der Eltern hinsichtlich Essen, Haare und Lautstärke zu unterminieren. Der Kurt spielt die gleiche Musik mit dem Lieblingsinstrument des österreichischen Erwachsenen, dem Doppler. Das richtet sich nicht mehr gegen die Eltern, denn die Eltern sind längst wir selber. Das meint uns selber, wir sind dran, aber wir lassen uns nicht mehr entmachten, wir halten die Subversion fest unter Kontrolle.

Um den Kindern zu zeigen, wie vergeblich jedes Aufmucken wäre, empfiehlt sich, beispielsweise eine Doppelstrategie. Erst Strandbad Neusiedl, Beach Boys, Friede, Pommes Frites, Sonnenöl, unter Umständen ein paar Watschen für uneinsichtige Surfer, die die Anwesenheit der Beach Boys zum Wichtigsein mißverstehen wollen.

Zwei Wochen später dann nach Inzersdorf auf den Großgrünmarkt. Dort, auf der Laxenburgerstraße 365, feiert am 3. Juli 1993 der Kurt Ostbahn "Ernte 1993", und was würde sich besser als Anschauungsunterricht eignen? Die Gschrappen sehen, wie man was macht, was man kann, nämlich die eigene Geschichte erzählen, mit ein paar G´schichteln unterlegt und mit ein paar G´spritztn untermischt. Der Kurt Ostbahn gibt einen glaubwürdigen Underdog, einen kraftvollen Verlierer, der nur g´winnen kann, wenn alles im Oasch is. Die Botschaft ist gut und wahr und wendet sich immer an die Richtigen, und sie kommt durch den Bauch, und das macht unser elterliches, pädagogisches Pressing so unwiderstehlich: Dem Kurt könnten nur ganz dumme Kinder zurückreden, aber die sind ungefährlich. So wendet der Kurt Ostbahn die Kniffe der Subversion gegen die Subversion und überlistet die Revolution mit ihren eigenen Mitteln. Die frißt ihre Eltern, ja, aber die sind einverstanden, weil sie selber die Revolution sind, und der Kurt Ostbahn ist ihr Chef. Und der drückt aus, was die Elterngeneration meint: Dichtung ist nicht Wahrheit, aber immerhin eine Haltung.

OSTbahn KURTi + die CHEFpartie, 160 Seiten, Text: Christian Seiler, Fotos: Lukas Beck,

Broschur, Ed. Tau, S 228, -.

Termine:BEACH BOYS, 18. 6., Neusiedl/See, Strandbad

OSTBAHN KURTI & die Chefpartie, 3.7., Wien, Inzersdorf, Großgrünmarkt

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Der virtuelle Verfolger

Alte Obsessionen und neue Pläne von Günter Brödl, dem Mann hinter Ostbahn Kurti

Auch bei der laufenden Konzerttournee, die die Chefpartie vom Burgenland bis nach München und auf den Wiener Großgrünmarkt bringt, steht er im Schatten, als Beleuchter. "Genauer gesagt: als Verfolger", sagt Günter Brödl. "Ich weiß schon instinktiv, was sie auf der Bühne machen werden, und richte den Spot auf die richtige Stelle."

Kein Wunder, er ist schließlich mit dem Ostbahn Kurti vielfach verwachsen, als Texter, Übersetzer, Reserve-Roadie. Er hat ja bekanntlich auch die Legende des Favorit´ner Rockers gehegt und als Phantom durch die Medien geistern lassen, als es noch keinen Willi Resetarits dazu gab. Nur erfunden hat den "Ostbahn Kurti und die Chefpartie" nicht er, sondern Wolfgang Kos 1975: Der damalige Music-Box-Macher veranschaulichte damit, wie die amerikanische Band "Southside Johnny and the Asbury Jukes" auf Wienerisch heißen könnte.

Der Jung-Music-Boxer Brödl griff die Wortschöpfung begeistert auf. Sie paßte ihm gut in den Kram. Als knapp Zwanzigjähriger konnte er bereits auf Karrieren als Musiker bei den "Little Red Roosters" ("Fürchterlich! Ganz schrecklich!"), als Prosa- und Theaterautor und als Radiogestalter zurückblicken. In den fiktiven Rocker-Proleten aus Favoriten kombinierte er nun seine Begeisterung für amerikanische Rockmusik (insbesondere die sprachschöpferische Abteilung: Zappa, Beefheart, Dylan) mit seinen Wiener Wurzeln (den wirklichen und denen in Literatur und Musik: Artmann, Jandl, Achleitner, Bronner) und seiner Kreativwut. Während er den Mythos aus Favoriten noch eine Zeitlang köcheln ließ, überarbeitete er sich derart für Funk und Fernsehen, daß er sich ins Spital legen mußte. Da stand er schnell im Ruf, einen Herzkasperl nach dem anderen zu haben. "In Wirklichkeit war es nur Erschöpfung", verbessert er.

Dann wurden aus den Chefpartie-Phantomen wirkliche Musiker, und aus Spaß wurde Ernst und noch mehr Spaß. Willi Resetarits entwickelte sich zum besten Rock-Kabarettisten des Landes, und Günter Brödl liefert ihm die Pointen und die Reime, die sich auf Wienerisch nur so biegen (eruiern - liagn - Stiagn; wos wü de wüde Hüde). Oder er denkt sich phonetische Entsprechungen der amerikanischen Vorbilder aus (Twisting the night away - Du bist und bleibst a Weh).

Dabei hütet er sich, in die Vereinigten Staaten zu fahren und etwa Bruce Springsteen, dessen Musik er besonders gern adaptiert, kennenzulernen. "Das würde nur eine Illusion zerstören." Brödl bleibt lieber in seiner Wohnung am Neubaugürtel und nützt den Fundus in seinem Kopf. Neben der Chefpartie bedient er seit einiger Zeit auch den Comics-Zeichner Ronald Putzker mit Texten. Sie sind in einer Schattenwelt zwischen Wiener Schiebereien und US-Krimi-Flair angesiedelt, "und wir haben gestalterische Freiheiten, wie sie mir ein TV-Drehbuch nicht bieten kann".

Trotzdem läßt er sich wieder auf viele Regieanweisungen ein: für sein Stück über eine erfolglose Fußballmannschaft, die gegen einen Grundstückspekulanten antreten muß. Opernregisseur Helmut Polixa arbeitet mit, am 7. Juli hat "Dynamo Donau Blues" in Amstetten Premiere.

Nur Hörspiel hat er noch keines geschrieben. Ansonsten taucht Günter Brödl in so ziemlich jedes Medium ein, benützt es, besetzt es mit einer genuinen Pop-Phantasie. Er beleuchtet die Zustände, die er zu gut kennt, mit einem ebenso unbarmherzigen wie lustvollen Sprach-Scheinwerfer. Dabei verschwindet er hinter seiner Arbeit oder überhaupt aus ihr: "Es ist mir gelungen, nichts Regelmäßiges mehr tun zu müssen." Er hinterläßt massenhaft Spuren, aber wo ist er selbst inzwischen? Sehen wir nur mehr den virtuellen Brödl? Muß Dr. Kurt Ostbahn ihn nun seinerseits rückerfinden?


© 1992  Der Standard

Last Updated:   12. Juni 1999

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