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    ("Die Geschichte des O.")


??. April 1994


NEWS 12/94, ??.04.1994, Seite 133 ff, von Heinz Sichrovsky und Valerie Schramm

Die Geschichte des O.

OSTBAHN KURTI regiert mit Rekordverkäufen die Pop-Charts. Der Journalist, der die Kult-Figur erfand, zieht Bilanz.

Nicht zu glauben, wie der Knabe aus der Art geschlagen ist. Hier das Kind: "Ostbahn Kurti", ein kompakter Vorstadt-Trinker, letztes, im Alkohol konserviertes Exemplar der weitgehend ausgestorbenen Arbeiterklasse. Dort sein Vater: Günter Brödl, 39, Autor und Musikjournalist, ein schmaler, introvertierter, intellektueller Zyniker mit dünnen Brillen, die Haare zum Schwänzchen geschürzt.

Und doch: Wenn je einer einem Vaterschaftstest standhält, so ist es Günter Brödl. Er hat den "Ostbahn Kurti" ersonnen, geplant und gezeugt, lang ehe der "Schmetterlinge" – Sänger Willi Resetarits der Kunstfigur leibhaftige Gestalt gab. Bis heute redet, denkt und singt der Charts-präsente Vorzeigewerktätige kaum ein Wort, das nicht Brödls Kopf entsprungen wäre. Der "Ostbahn Kurti" ist Hauptberuf und Haupterwerbsquell seines Erfinders und bis zur Stunde einzigen Textautors Günter Brödl. "Er nimmt", gibt Brödl zu Protokoll, "90 Prozent meines Lebens in Anspruch." Mit anderen Worten: Brödl ist das rastlose Gehirn eines rätselhaften Erfolges.

Der in diesen Wochen abermals schwerverständliche Höhen erklimmt. Ende Februar kam der "Ostbahn Kurti" mit gleich zwei neuen Alben auf den Markt. Seit der Vorwoche okkupieren sie die beiden ersten Plätze der heimischen Charts: der Tournee-Mittschnitt "Trost & Rat" den ersten, das im Studio produzierte Opus "Saft & Kraft" den zweiten. Mit Themen kilometerweit jenseits des Zeitgeistes – rauhe Brödl-Balladen vom Arbeitsmenschen und seinem besten Freund, dem Alkohol, vieles einfach auf amerikanische Rock´n´Roll-Melodien geschrieben – setzte man augenblicklich je 50.000 Stück ab.

Und führt damit den plötzlich ausgebrochenen Patriotismus heimischer Plattenkäufer zu konkurrenzlosen Höhen: Hinter dem "Ostbahn"-Doppel nämlich rangiert bereits Hubert von Goiserns jüngstes Werk. Und das zuletzt wochenlang führende "Nockalm" – Quintett mit Schlagern, die selbst Moik-Enthusiasten intellektuell zu unterfordern drohen, behauptet sich immer noch auf Rang sieben.

Brödl zum Boom, der vielerorts als Ausfluß dumpfen Provinzlertums firmiert: "Provinzlertum ist nichts prinzipiell Schlechtes. Wenn es nämlich das Ergebnis einer MTV-Überdrüssigkeit ist. Eine Reaktion auf die Gleichmacherei, die Millionen in die digitalen Tricks schwachsinniger Videos investiert, damit sich ein Mist über das Bild statt über die Musik verkaufen läßt."

Kurtis Geburt. Exakt im Sinne dieses Überdrusses schritt er einst zum Zeugungsakt. Die Causa "Kurti" begann im Jahr 1978. Jung-Autor Brödl, zum Zweck des Broterwerbs mit dem nachmaligen NEWS-Gründer Wolfgang Fellner bei der Ö3-"Musicbox" am Werk, verfaßte im Auftrag des Theaters der Jugend ein Musical. Die Titel-Frage "Wem gehört der Rock´n´Roll?" vermochte das Werk nicht zu beantworten, doch es bezog Position gegen den musikalischen Mainstream: Die handelnde Rock-Gruppe "Brezelbrothers", verzweifelt auf jeder Welle surfend, traf da in einem Simmeringer Vorstadtlokal in Ostbahn-Nähe den gleichnamigen Kurti und seine "Chefpartie". Brödl: "Ein Unbestechlicher, der einfach seinen Rock´n´Roll spielt. Wurscht, ob unten 500.000 oder fünf Leute sitzen. Wenn er nur seine Haberer und sein Bier hat."

Das Musical verschwand im ewigen Fundus, Darsteller Erich Götzinger fand seine gottgegebene Bestimmung als TV-Sprecher. Doch die Nebenpartie des "Ostbahn Kurti" wurde zum alles verdrängenden Protagonisten in Brödls Kopf.

Partisan. Er begann, für den Nichtexistenten Song-Texte zu verfassen, die er unter dem Pseudonym "Ostbahn Kurti" in Literaturzeitschriften veröffentlichte. Sechs Jahre lang verrichtete er so sein Partisanenwerk.

Bis im Jahr 1984 "Schmetterlinge" - Sänger Willi Resetarits die Fleischwerdung des Wortes beschloß: Als ihre eigene Vorgruppe verkleidet, wollten die "Schmetterlinge" die Hälfte ihres Programms als "Ostbahn Kurti und die Chefpartie" bestreiten.

Brödl: "Da hab' ich nein gesagt. Als Gag für ein Konzert war mir der Kurti zu schade." Statt dessen arbeitete er mit Resetarits (er vertonte seither jeden "Ostbahn"-Text) und vier Musikern an der Kreation des Phänomens. Als man 1985 im Schutzhaus am Schafberg erstmals auftrat, überrannten 600 Personen - etliche versicherten, sie hätten die Gruppe schon öfter gehört - das für 200 konzessionierte Lokal. Brödl hatte damals bereits Songs für zwei Stunden vorrätig.

Das Phänomen. Der Schöpfer zur Kreatur: "Der Kurti ist eine zynische Gestalt, geschaffen von Zynikern. Er verkörpert, was es nie gegeben hat: die österreichische Rock´n´Roll-Kultur. Und er verkörpert, was es längst nicht mehr gibt: nämlich den Arbeiter. Der Kurti ist auch eine politische Figur, denn er argumentiert am dem gesunden Menschenverstand gegen Erscheinungen wie Haider. Er ist in einer Branche geklonter Fendrichs etwas Einzigartiges. Aber nur ein Drittel des Publikums versteht die Ironie. Den anderen gefällt, daß er so laut und häßlich singt und so scheußliche Worte gebraucht."

Kommerz-Phänomen. Die Sache rechnet sich so oder so. Heute hat die Gruppe enorme zehn Stunden Brödl-Texte mit Resetarits-Sound vorrätig. Acht Alben, dekoriert mit zweimal Platin und viermal Gold, haben insgesamt etwa 400.000 Exemplare abgesetzt. Es existiert noch Unveröffentlichtes aus den siebziger Jahren, genug für zwei CDs.

Resetarits, selbst aus den Abgründen von Simmering gebürtig, erwies sich als astrologischer Zwilling des Brödlschen Konstrukts. Samt selbstzerstörender Absturzbereitschaft. "Der Willi führt eine Jekyll-Hyde-Existenz. Er ist soweit zum Kurtl geworden, daß er wirklich beim Wirten sitzt und, völlig altmodisch für seine fünfundvierzig Jahre, mit den älteren Herren plaudert und als letzter zahlt und heimgeht. In der Hyde-Phase trinkt er viel. Zu viel. Jetzt hat er es im Griff, aber vor zwei Jahren mußte man sich um ihn sorgen. Er war ständig krank, die Stimme nur mit Spritzen mobilisierbar. Wenn er bis sechs Uhr früh durchgetrunken und am Abend ein Dreistundenkonzert gegeben hat, habe ich oft Angst um ihn gehabt. Aber er hat nie ein Konzert abgesagt."

Kurt, der trinkfeste Vorstädter, kontrolliert heute weitgehend die Gedankenwelt des Günter Brödl (verheiratet, zwei Töchter, 16 und 11): Nur noch zwei monatlich von ihm betreute ORF-"Nightline"-Sendungen erinnern an die journalistische Vergangenheit. Der Großteil seines Einkommens - 600.000 bis 800.000 Schilling pro Jahr - kommt aus dem Achtel der Gesamteinkünfte, das jedes Mitglied der "Chefpartie" (samt Manager Günther Großlercher) lukriert. Nur Resetarits kassiert um ein Drittel mehr.

Mythen. "Rauschartig" - so die Selbstdiagnose - arbeitet Brödl an Neuem (im Herbst erscheint gar unter dem Verfassemamen "Kurt Ostbahn" ein Vorstadt-Krimi). Zwecks Erstellung von Toumeeprogrammen spinnt er in durchwachten Nächten ständig neue Details der in Tausenden Mythen dokumentierten Biographie des "Ostbahn Kurti". Als Wohnort des Alleinstehenden hat man Brödls Schallplattenlager nahe dem Westbahnhof festgelegt. Wöchentlich treffen Zuschriften – "Herrn Ostbahn Kurti, Wien 15" - ein. Ein Mythos, per Postanschrift amtlich zum Leben erweckt.

So entsteht das Live-Erlebnis, das Brödl unter Hintansetzung des Familienlebens sechs Monate pro Jahr auf Tourneen konsumiert.

Brödl: "Die Horror-Orte sind die in der Umgebung von Wien. Wenn du am Nachmittag auf so einen Fußballplatz im Marchfeld kommst, sitzen schon die ersten mit dem Fünfliterkanister ,rote Mischung´ dort. Bis zum Abend sind sie so betrunken, daß sie nichts mehr hören, sich anspeiben und abtransportiert werden. Diese Atmosphäre, dieser Ton machen dem Willi und mir sehr zu schaffen."

Der leibhaftige Mythos und sein leiblicher Vater auf dem langen Marsch durch die Vorhöllen der Provinz.


"WIR SIND VERWANDT"

Hubert v. Goisern über Ostbahn-Kurti

"Es gibt Leute, die mich als Rustikal-Variante des Ostbahn-Kurti bezeichnen und mir den Namen "Westbahn-Kurti" geben. Der Vergleich stimmt in gewisser Weise und ehrt mich. Bei allen geographischen und thematischen Unterschieden gibt es zwischen uns eine Wesensverwandtschaft: Wir beide repräsentieren eine lokale Identität – nicht nur vom Dialekt, sondern auch vom Wesen. Wobei er sein Simmering noch ein wenig stärker und umfassender verkörpert als ich meine Region. Und wir haben noch etwas gemeinsam: Wir agieren ein bisschen ´larger than life´. Wenn wir beide auf der Bühne stehen, zeichnen wir unsere Selbstbilder noch bunter, mit noch einfacheren Strichen als im Leben. Das kann er, und das kann ich. Wir sind Verwandte."


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Last Updated:   05. April 1999

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