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    ("Der neue Heinz Conrads")


29. April 1996


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PROFIL 18/96, 29.04.1996, Seite 82 ff, von Christian Seiler

DER NEUE HEINZ CONRADS

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"Liebe Mädeln und Buben"

Kurt Ostbahn gibt seine Premiere als TV-Showmaster. Mit altmodischen Liedern und verbalen Kunststücken spendet er seinem Publikum "Trost und Rat" und schafft dabei die Wandlung zu einem neuen Heinz Conrads.

Drunter liegt eine relativ aufgeregte Gitarre, aber drüber erzählt eine tiefe, abgeklärte Stimme etwas von Sicherheitsgurten für Hunde, von Schokolade für Vögel, von einem Mittel gegen Glatzen ...

" ... wir können alles kaufen ..."

dann biegt der Song, der nach dem Vorbild des deutschen Schlagers mit den wichtigsten drei Akkorden in der Gitarrenbegleitung auskommt, in seinen Refrain:

" ... doch das beste ist immer noch: Saufen. Saufen. Saufen."

Kurt Ostbahn lümmelt in seinem schwarzen Bürosessel und gestattet sich den Anflug eines Lächelns. Dieses Lächeln ist viel wert. Bekanntlich sind die Produzenten von Lustigkeit mit lustigen Fremdprodukten eher streng. Der Refrain schraubt sich jedenfalls um seine eigene Achse in die nächsthöhere Dimension:

,,Saufen. Saufen. Saufen. Saufen. Saufen. Fressen und ficken. Saufen. Saufen. Saufen. Und die Kinder Bier holen schicken ..."

"Okay", sagt Ostbahn, "damit fangen wir an."

Der Mund des Radio-Wien-Redakteurs beschreibt einen auf dem Bauch liegenden Halbmond.

"Oder?" fragt Ostbahn, durch das ostentative Unglück seines Mitarbeiters für einen Moment irritiert.

"Weißt du, wie es dem Walter Berry gefällt, wenn gleich das erste Lied vom Ficken handelt?"

"Na. Glaubst du, er draht um und geht?"

"Ich wär' mir da nicht so sicher."

"Wirklich wahr. Ficken is so a schiaches Wort. Aber wenn er ,pudern' singen tät', hätt' ich's gespielt!"

Also entriegelt der Redakteur das Schloß seines CD-Players, nimmt die unspielbare Funny-van-Dannen-Platte aus dem Schlitten und legt irgendwas von Van Morrison hinein, womit die neue Sendung von "Trost und Rat" beginnen kann, sonntags um eins. Bei Van Morrison kann man sicher sein, daß der Herr Kammersänger Berry, der als Studiogast geladen ist, nicht pikiert das Weite suchen wird. Schließlich muß er mit dem Moderator das Lied "Ein kleiner Bär mit großen Ohren" singen, zweistimmig. Da lohnt es sich zweifellos, auf einmal "ficken" zu verzichten.

"Trost und Rat" ist ein schöner Titel für eine Radiosendung, deren Anliegen es ist, gleichzeitig für die Unterhaltung wie auch die Herzensbildung ihres Publikums zu sorgen. "Trost und Rat" verbreitet den Duft avancierter literarischer Inhaltlichkeit, nicht umsonst wurden die Zeitungskolumnen des großen irischen Autors Flann O'Brien unter besagtem Titel herausgegeben. Kurt Ostbahn hat ein großes Herz für die Atmosphäre der mehrgeschossigen Ironie, die sich je nach Bedarf/Bildungsstand/Laune des Publikums benützen läßt. Er nannte bereits eine seiner Live-Platten "Trost und Rat" und doppelte nach, als er vom "Neuen Radio Wien" um die Moderation einer formatgerechten Musiksendung gebeten wurde. Niemals, sagte Ostbahn, werde er die Wahl des Musikcomputers mit mehr oder weniger passenden Worten begleiten; wenn überhaupt, dann spiele er die Musik, die ihm gefalle: Schlager, Schnulzen und emotionale Kostbarkeiten aus allen Generations- und Kulturzusammenhängen.

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Das Landesstudio Wien leistete sich das Risiko, Ostbahn gewähren zu lassen. Selbst eine verunglückte Pilotsendung, in die sich der Moderator völlig unvorbereitet hineingesetzt hatte, schreckte Programmchef Gerhard Frühling nicht ab. "Trost und Rat" ging, gesponsert von Klosterfrau Melissengeist, auf Sendung. Die "gezielte Formatverletzung" ("T & R"-Redakteur Kurt Reissnegger) sorgte sofort für Furore: Da verletzte einer alle Regeln des Radiomachens, pfiff sich nichts um Wohlklang der Stimme, Reinheit der Aussprache, das reglementierte Verhältnis von Wort und Musik; er sang zweite Stimmen über Lieder von der Platte, kam hörbar angeheitert zum Aufnahmetermin, lud nur Gäste ein, die mit ihm ein Lied singen würden, nicht einmal das Ende der Sendezeit war ihm heilig. Herr Ostbahn überzog seine Mittagsstunde um bis zu fünfzehn Minuten, was den in seinem Studio hockenden Nachrichtensprecher wiederholt in arge Verlegenheit brachte. Der arme Teufel, dessen vordringliche Aufgabe darin bestand, die ostbahnmäßige Formatverletzung professionell abzudichten, mußte seinen Abriß der Weltgeschichte kommentarlos mit dem Jingle beginnen: "Vor acht Minuten war es vierzehn Uhr ..."

Der Große Sendesaal des Wiener Funkhauses ist ein historischer Platz. Die im Saal befestigte Gedenktafel kündet davon, daß hier einer der großen Entertainer der Zweiten Republik von 1946 bis 1986 seine sonntägliche Radioshow "Was gibt es Neues?" veranstaltete: Heinz Conrads. Dessen breites Gesicht mit den feucht nach hinten gekämmten Haaren und den kleinen Augen, von denen man nie wußte, ob sie schelmisch, listig oder tückisch dreinschauten, ist längst eine Metapher. Während Conrads zu seinen Lebzeiten die Funktion des sich beim breiten Publikum anbiedernden Massenunterhalters erfüllte, wurde er posthum mit den Weihen des ersten österreichischen Popstars versehen. Tatsächlich schaffte es Conrads mit seinem in Kern und Wesen harmlosen Schmäh, alte Mutterln genauso zu verzaubern wie junge Spitzbuben, denen er mit einem Augenzwinkern, "Guten Abend die Madeln, servas die Buam", zu verstehen gab, daß er, was auch immer es sei, verstünde, indem er es verkörpere. Er war ein Meister im Erahnen des Massengeschmacks, er kannte wie kein zweiter die Grenzen zwischen als Charme getarnter Anzüglichkeit und über das Ziel hinausschießender Schlüpfrigkeit. Doch im Gegensatz zu Kurt Ostbahn waren seine Mittel beschränkt: Als Schauspieler galt Conrads höchstens als mittelmäßig, als Sänger profitierte er von der Rührseligkeit des Wienerlieds, das er sich pfiffig zu einem nur ihm allein zugeeigneten Genre aufpolieren ließ. Was ihn über die Summe seiner Fähigkeiten auszeichnete, war sein Instinkt: Conrads wußte, wann er welchen Witz bringen, wie er seine Stimme senken, wann er welche Pause machen mußte. Er präsentierte sich niemals als abgehobener Künstler, sondern als Mitglied der großen, österreichischen Unterhaltungsfamilie. Wer das Radio aufdrehte, gehörte ihr an, und er, der Heinzi, sorgte dafür, daß es etwas zu tratschen gab. Daß er darunter litt, niemals das diminuierende i aus seinem Vornamen eliminieren zu können, selbst als er bereits 60 und ein bißchen zu alt für ein dahergelaufenes Burschi von nebenan war, trübt nicht die Tatsache, daß Conrads ein echter Volkskünstler war, wie es seither keinen mehr gab. "Das Volk hat die Volkskunst stehengelassen", erläutert Georg Vobruba, Leiter des Instituts für Soziologie an der Universität Leipzig, und versieht seine Analyse mit einem kurzen Appendix: "Und jetzt kommt der!"

Der kommt mit einem weißen Anzug, einem schwarzen Hemd, einer grau-weiß gestreiften Krawatte und schwarz-weißen Schuhen. Er trägt zwei warzige Ringe im linken Ohr und hat seine schütteren Haare zu einem Schwänzchen von inzwischen recht ansehnlicher Länge zusammengebunden. Er springt nicht über die Orchesterstufen zum Mikrophon hinunter, das in der Mitte der Bühne aufgebaut ist, er schwebt: Seine Schritte sind lang und verzögert, sie tragen den Kurt Ostbahn wie in Zeitlupe an seinen Bestimmungsort, und als er dort steht, vor sich das originale Pult des Heinz Conrads, schenkt er dem bis auf den letzten Platz gefüllten Saal sein Charakterlächeln: eine schmale Lippenlinie, die dank hochgezogener Augenbrauen über dem kantigen Kinn besonders gut zur Geltung kommt: "Grüß euch, liebe Mädeln und Buben!" Die Tatsache, daß auf der Bühne drei Kameras herumholpern, stört weder den Ostbahn noch seine Gäste. Der Anlaß für die Galavorstellung von "Trost & Rat" ist die 52. Ausgabe der Sendung. Die Kameras sind Beiwerk, sie sollten ursprünglich nur ein paar Bilder für ein " Österreich-Bild" von Studio Wien aufnehmen, bevor sich Heinrich Mis, Leiter der "KunstStücke"-Redaktion, entschloß, die Sonntagsshow integral in sein Programm zu nehmen (sie wird am kommenden Dienstag, dem 30. April, um 23.00 Uhr in ORF 2 ausgestrahlt).

Vielleicht, weil niemand das Wort "Fernsehen" in den Mund nahm, unterscheidet sich die Ga udien verzichtet. Die Kameras werfen Blicke in das Entstehen einer Radiosendung, die vor Publikum stattfindet. Sie sind nicht da: selbstverständliche Zentrum des Geschehens, sondern geduldete Störenfriede. Die Regie lehnt sich gegen die Diktatur der Optik genauso auf wie der Moderator gegen die Selbstverständlichkeit des perfekten Ablaufs: Lächelnd erklärt der Ostbahn nach zehn Minuten, daß die vier "Rounder Girls", die beeindruckenden Sängerinnen mit denen das sentimentale Schlußlied gesungen werden soll, früher als geplant zu einem Auftritt nach Deutschland fahren müssen. Man werde deshalb das Schlußlied gleich jetzt singen, man möge es sich als Höhepunkt der dramaturgischen Entwicklung der Sendung vorstellen, dann jedoch gleich wieder vergessen, denn die Sendung gehe selbstverständlich nach dem vorgezogenen Schlußlied weiter.

"Dark End of the Street" verdichtet sich sofort zu einem berührenden Stück Fernsehen, zumal es dem Gitarristen der Ostbahn-Kombo, Klaus Trabitsch, zugeeignet ist, der am Palmsonntag der Aufzeichnung nach einem Autounfall querschnittgelähmt im AKH lag (und inzwischen auf dem Weg der Besserung ist). Auf der Bühne passieren dann Emotionen, die weder geschleckt noch designt sind, auch nicht bis ins letzte Detail ausgebreitet werden (wie bei Vera oder Lizzy) - denn dafür besteht keine Notwendigkeit. Im Gegensatz zu den grellen Farben der herkömmlichen Fernsehunterhaltung bedient sich "Trost & Rat" der düsteren Ostblock-Farbpalette des Großen Sendesaals.

Kurt Ostbahn ist also der Heinz Conrads von heute. Doch ist er der bessere Heinz Conrads. Er braucht sich seinem Publikum nicht an den Hals zu schmeißen und ist daher - ganz anders als sein Vorgänger – frei vom Verdacht des Opportunismus. Er repräsentiert das menschliche Österreich und läßt sich vom häßlichen Teil der Republik nicht einschüchtern. Er sagt - auch wenn ihn der Radio-Wien-Redakteur dabei sehr skeptisch anschaut:

"Ich möchte mit zunehmendem Alter an der Herzensbildung arbeiten. Denn ich liebe die Menschen."

"Alle Menschen? Auch die Arschlöcher?"

"Nur die größten Arschlöcher sind exkludiert."

Überhaupt, die Nostalgie: Sie trägt wesentlich dazu bei, daß Kurt Ostbahn mit "Trost & Rat" endgültig zum Volkskünstler (mit kraft Senderleistung beschränkter Verbreitung) aufsteigen kann. Indem er neben Van Morrison, den Texas Tornados und Willy DeVille, also der Country-, der TexMex-, der Cajun- und Zydeco-Abteilung jede Menge alter deutscher Schlager aus den Archiven klaubt, Caterina Valente mit großer Leidenschaft einsetzt (in jeder Sendung bestreitet sie die zweite Musikeinlage), bietet er nicht nur eine Corporate identity für seine Sendung an, sondern den Hörern ihre persönliche Heimat. Alte Schlager sind, wie er sagt, Transportmittel von eigener Biographie, und: "Diese Heimat tu' ich evozieren!"

So entsteht eine Talk-Show, die nicht - wie Hermes Phettbergs "Nette Leit Show" - vom Reiz der Deformationen lebt, sondern von der Kunstfertigkeit ihrer Teilnehmer. Kurt Ostbahns spontaner Witz paart sich mit der Liebe derer, die ihm zuhören und nacheifern. Die Hörerpost jedenfalls birgt humoristische Schätze, vor allem zu den feierlichen Stunden, wenn die Suche nach dem schönsten Imperativ (" Egon: Schiele!") ausgerufen wird oder gar das Schüttelreim-Symposion, das fast schon identitätsstiftende Verse lieferte: "Aus Dr. Kurt Ostbahns Munde schöne Liedl erschallen / Dazwischen aber tut er Schüttler lallen."

"Trost & Rat" wächst, trägt zum Quotenerfolg von Radio Wien bei, provoziert den Unmut der Kollegen von Ö3, die sich im kleinen Kreis darüber ärgern, nicht selbst auf die Ostbahn-Idee gekommen zu sein. Dem Status der Sendung schadet das eingeschränkte Verbreitungsgebiet nicht. F ans aus den Bundesländern und dem Ausland lassen sich mit Kassettenmitschnitten "Trost & Rat" spenden, hinter den Kulissen wird bereits über die ersten Tonträger mit im Studio live vorgetragenen Ostbahn-Duetten verhandelt. Mit Hans Krankl etwa sang er "Gitarren klingen leise durch die Nacht", mit seiner Mutter das kroatische Heimwehlied "Lipo ti je cuti" mit der Tschuschenkapelle "Aber ge'rebelt muass er sein". In der Gala aus dem Großen Sendesaal wird das berückende Pfeifduett "Das Kirchlein am Berg von Straßengel" mit STS-Sänger Schiffkovitz zu sehen sein.

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Es hat der Ostbahn-Kurti, der vor elf Jahren wild und gefährlich aus dem Nichts aufgetaucht ist, das Wilde und Gefährliche abgerieben wie Balu, der Bär aus dem Dschungelbuch. Sein letztes Album "Espresso Rosi" ist im Vergleich zu früheren Rock ´n´ RoII-Werken, die laut und hymnisch und elektrisch waren, eine fast schon Ö-Regional-kompatible Country-und-Schlager-CD. Das hat mit dem Altvatrischen zu tun, das Willi Resetarits immer schon liebte, aber nicht so sehr lebte. Er wird im Dezember 48, hat schon ein paar Karrieren - als "Schmetterling", Studiomusiker, Rocksänger, Schauspieler, Sozialarbeiter – hinter sich, die miteinander geradezu perfekt das Ganze eines welterfahrenen, umfassend menschenfreundlichen Nachbarn ergeben. Das Radio hebt diese Nachbarschaft ins Großfamiliäre, das Fernsehen könnte die Familie nachhaltig vergrößern. "Ich trag´ mich nicht an" sagt Ostbahn mit allem notwendigen Selbstbewußtsein. "Aber ich weiß, daß die vom ORF sich ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie mich nicht um sehr viel Geld engagieren."


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Last Updated:   28. 05. 1998

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