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    (Erika Pluhar Interview)


15. Mai 1998


Die Presse, 15. 05. 1998

Im Gespräch

Von der Unlust an Befehlen und verschiedenen Schubladen

Einst war ERIKA PLUHAR die Salondame des Wiener Burgtheaters, heute singt sie erstmals mit großem Orchester. In St. Pölten feierte Pluhar an der Seite des portugiesischen Komponisten Antonio D. Almeida eine Weltpremiere. Das Interview führte WILHELM SINKOVICZ.

DIE PRESSE: Frau Pluhar, Sie stecken mit Ihrem heutigen Konzert in St. Pölten mit Antonio D'Almeida wieder ein neues Revier in ihrem Sängerleben ab. Erstmals ein Abend mit Orchester - noch ein Schritt weiter weg vom Theater. Wie stark ist der Unterschied zwischen der Schauspielerin, die unentwegt etwas "auf Befehl" zu machen hat, und der Sängerin, die oft eigene Texte interpretiert?
Erika Pluhar: Das war mit auch ein Grund meiner Distanzierung vom Theater. Nach 40 Jahren Befehlsempfängerschaft genieße ich mein Leben jetzt sehr in dieser Freiwilligkeit.

Werden Sie nicht von allen Seiten bekniet, wieder Theater zu spielen?
Pluhar: Ich hab' es zu deutlich deponiert, überall. Der Impuls dafür war natürlich der Wandel mit Peymann, als dieses ganz andere Milieu kam; das ja nicht nur auf Wien begrenzt ist. Da wurde mir bewußt: Das geht mir auf die Nerven, das stell' ich ab. Ich hab' mir diese Theaterlandschaft, die damals im Entstehen begriffen war, vor Augen geführt, das überdacht und mich dann langsam 'rausgezogen. Ich gehe im Februar '99, wenn ich 60 werde, in Pension. Bis dahin erfülle ich meine Pflicht unter anderem mit Solo-Abenden wie dem Konzert, das unlängst stattgefunden hat. Wenn dann das große Haus voll ist, kann ich wieder beruhigt sagen, ich habe meinen Teil als noch lebendiges Mitglied des Theaters erfüllt. Wenn sie mich brauchen, mache ich so etwas immer wieder, mache meine Lesungen, präsentiere meine Bücher, singe.

Nun gibt es aber bald einen Direktionswechsel. Wenn jetzt Bachler kommt und bietet Ihnen eine tolle Rolle an . . .
Pluhar: Erstens glaube ich nicht, daß er kommt. Denn er hat zu viele, zu denen er kommen muß. Und dann glaube ich nicht an die Rolle. Schaun Sie: eine sechzigjährige Frau. Da kann ich ein paar Sachen spielen, wo es dann auf jeden Fall heißt: So hat es die Gold gespielt, so die Wessely. Das ist mir fad. Und daß sich die zeitgenössische Theaterliteratur sich in einer Weise mit einer Sechzigjährigen befaßt, daß mich das vom Stockerl reißt: Sollte das eintreten, dann wäre es vielleicht doch interessant. Ich sag' ja nicht nie. Und ich habe auch alle Möglichkeiten, auch wenn ich in Pension bin. Da bin ich dann nur aus dieser Fron entlassen.

Aus Ihren Aussagen spricht auch eine gewisse Distanz zu den zeitgenössischen Dramatikern. Gibt es keine, die Sie interessieren?
Pluhar: Es gibt schon ein paar interessante. Vor allem die Engländer. Zum Beispiel dieser David Mamet. Aber das sind alles gute Sachen für Männer. So etwas würde mich sicher reizen. Aber abgesehen von einer Rolle würde ich nur mehr etwas machen, wo ich das Gefühl habe, es steht dafür - das Stück, die Aussage. Aber da seh' ich weit und breit nichts für eine Frau meines Alters. Nur: Das tut fast wohl, daß es so ist.

Also keine Wehmut?
Pluhar: Aber wo. Proben, und wieder jeden Tag ins Theater gehen. Ich werde jedenfalls nie wieder Mitglied eines Ensembles sein - und viel spielen. Viele haben ja geglaubt, ich kokettiere und haben gesagt: Na ja, jetzt hat's halt unterm Peymann keine Rollen gekriegt. Ich hätte auch unter Peymann mich bemühen können - im deutschen Raum. Ich hätt' schon ordentlich spielen können.

Herr Almeida, Sie haben als langjähriger musikalischer Partner von Erika Pluhar jetzt einen neuartigen, sozusagen symphonischen Abend programmiert, der nun in St. Pölten erstmals in Österreich zu erleben sein wird. Wie setzt sich dieser Abend zusammen?
Antonio D'Almeida: Der erste Teil ist eine Hommage an Charlie Chaplin. Ich bewunder' Chaplin; wer tut das nichtö Ich habe mich entschlossen, eine Collage aus vielen verschiedenen Szenen aus Chaplin-Filmen zu entwerfen und daraus sozusagen einen eigenen kleinen Film zusammengestellt. Viele archetypische Szenen, die Chaplin so genial gestaltet hat, sind in diesen neuen Film eingebaut.

Das Stück ist sozusagen die Musik zu diesem neuen Film?
Pluhar: Na ja, der Film existiert gar nicht. Es sind nur Passagen für Sprecher, die ich übernehme und in denen ich zwischen den Musiknummern erzähle, worum es gerade geht. Und dann erzählt es die Musik
Almeida: Es ist ein bißchen so wie in Prokofieffs Peter und der Wolf. Musikalisch hat mich immer die Diskussion interessiert, die es zwischen Chaplin und Arnold Schönberg gegeben hat, als beide in Kalifornien aufeinandertrafen. Schönberg hat ihm gesagt: "Ich bewundere Ihre Filme, aber nicht so sehr Ihre Musik." Chaplin hat darauf gesagt: "Meine Musik habe ich nur zu meinen Filmen gemacht. Und dazu paßt sie ideal. Ich würde sie nicht für den Konzertsaal verwenden. Ihre Musik aber würde nicht zu meinen Filmen passen." - Beide hatten recht. Mich hat dieser Disput interessiert. Ich habe für mein Stück, die "Klangfabrik", zwei Klangebenen gewählt. Zum einen die der Moderne von Strawinsky bis Ligeti, zum anderen die Ästhetik der Filmmusiken von Chaplin, obwohl ich kein Thema von Chaplin verwende, aber den Stil. Das ergibt eben eine merkwürdige Mischung aus Musik, die, sagen wir, Schönberg nicht irritieren würde, und der anderen Gebrauchsmusik. Und beide kommen hier zusammen.Das klingt ein bißchen nach Kritik an der musikalischen Entwicklung unseres Jahrhunderts.Pluhar: Das habe ich, muß ich gestehen, auch dem Text entnommen, obwohl er ganz an Charlie Chaplin orientiert ist. Das Stück heißt ja Klangfabrik. Und diese Fabrik produziert sinnlose, inhaltslose Klänge - und plötzlich kommt eine Phrase, die kann man nachpfeifen. Das gilt ja für viele Vorkämpfer der sogenannten Neuen Musik als Schande.

Was mich berührt hat an dem Werk, daß da auch Elemente der portugiesischen Revolution enthalten sind.
Almeida: Ich habe das Stück während unserer Revolution geschrieben. Deshalb gibt es in meiner Klangfabrik am Ende auch eine Streik. Und plötzlich machen alle Töne, die auch alle Menschen benützen können, die nicht nur für ein paar auserwählte Leute verständlich sind.
Pluhar: Zuletzt gibt es einen wunderbaren Walzer.

Wie haben Sie beide denn zusammengefunden?
Pluhar: Antonio war Kulturattache in Wien. Damals durfte ich, betreut von Heller und Konsorten, eine eigene Platte machen. Das wurde mir gestattet, quasi. Dafür hat Antonio zwei Kompositionen geschrieben. In dieser Gruppierung war auch der wunderbare Gitarrist Peter Marinoff, der leider nicht mehr lebt. Mit ihm haben wir dann viele Gemeinsamkeiten entdeckt. Daraus resultierten dann fast zwanzig Jahre gemeinsame Arbeit. Jetzt arbeite ich entweder mit Antonio zusammen oder mit dem sehr guten jungen Gitarristen Klaus Trabitsch. Und unlängst haben wir zum ersten Mal etwas gemeinsam gemacht, nämlich eine Wiener Lieder-Platte, die wir in Portugal aufgenommen haben.

Ist das nicht eine seltsame Kombination, Wiener Lieder in Portugal?
Almeida: Ich habe schon etwas zu tun mit Wiener Liedern, finde ich.
Pluhar: Er hat ein unerhört wienerisches Gefühl bei seinen Kompositionen. Außerdem mache ich ja nicht Wienerlieder im klassischen Sinn. Wir haben da auch einmal ein Blues vom Klaus dabei, auch was Russisches. Alles gemischt.
Almeida: Ich glaube, das einzige, was auf der Platte wirklich wienerisch klingt, ist von mir.

Was ist das Wienerische daran?
Pluhar: Die Sprache. Der Sprachduktus meiner Kindheit, den ich verwende. Es gibt da von Antonio etliche Stücke, die einfach "Pluharlieder" heißen. Und im zweiten Teil unseres St. Pöltner Abends sind dann neun dieser Lieder in einer Orchesterversion.
Almeida: Das ist eine echte Premiere. Bisher habe ich die Lieder eigentlich gar nicht aufgeschrieben, nur gespielt. Und jetzt habe ich mich gezwungen, sie für Orchester zu setzen, sodaß es jetzt auch Noten davon gibt. Wir haben mit Peter Marinoff einen ganz neuen Stil geschaffen, nicht klassisch, auch nicht Unterhaltungsmusik. Es ist so etwas wie Kammermusik mit Gesang. Das klassische Element kam von mir, das jazzige von Peter und die Erika-Elemente, die kann sowieso kein anderer einbringen.

Das ist also je nach beteiligten Musikern jeweils ganz andere Musik?
Pluhar: Für mich ist es herrlich. Wenn ich mit Antonio allein arbeite, dann kommt etwas ganz anderes heraus, als wenn ich mit Klaus Trabitsch Musik mache. Obwohl sehr viele Lieder im Repertoire dieselben sind. Ich bin ja auch nicht einzuordnen in irgend eine Kategorie. Sicher nicht in die U-Musik, auch nicht wirklich in den E-Bereich. Ich schwebe da irgendwie dazwischen. Aber eher in Richtung "E", glaube ich.

Was hören Sie denn privat für Musik?
Pluhar: Wenig "U". Obwohl, wenn sich die sogenannte U-Musik zum Beispiel mit Frank Sinatra beschäftigt, dann hör ich's natürlich gern. Wir haben ja auch eine CD gemacht mit 25 "klassischen" Liedern von Cole Porter bis George Gershwin.
Almeida: Als wir angefangen haben, miteinander zu arbeiten, waren die Leute ja ein bißchen irritiert über unseren Stil. Das war ja etwas ganz anderes als das, was die Erika vorher gemacht hatte.
Pluhar: Es war schwierig, wie jeder Wechsel aus einer Schublade in eine andere. Als ich zum Beispiel angefangen habe, meine eigenen Texte zu schreiben. Ich bin überzeugt, daß diese Texte nicht schlechter waren, als das, was ich vorher gesungen hatte. Aber man hat sie mit großem Zynismus kommentiert. Wobei ich immer dafür plädiere, daß ein Liedtext ja nicht hohe Literatur ist. Diesen Anspruch, auf den die Häme gezielt hat, habe ich ja nie gestellt. Ich orientiere mich viel eher am Volkslied. Es ist eine schlichte Reflexion. Als ich dann mein erstes Buch geschrieben habe, war es irgendwie dasselbe. Aber mit Beharrlichkeit und ohne Hektik kann man das besiegen.

Das entscheidet ja dann das Publikum, oder?
Pluhar: Genau. Und wir haben immer unser Publikum. Auch unlängst im "Akzent". Das ist ja, wie man weiß, so ein Theater, in das keiner hineingehen will. Und wir waren voll. Auch in Deutschland ist das für mich immer interessant, weil ich da ja medial nicht so präsent bin. Auch dort haben wir keine Probleme.

Muß man da die Texte, die ja oft, wie Sie sagen, sehr wienerisch sind, anpassen?
Pluhar: Nein. Ich singe sie immer gleich. Nur ein bißchen erklären muß man manches vorher. Das sorgt ja auch für eine Riesenhetz. Zum Beispiel: Sad's es eh a? - Seid Ihr es denn ohnehin auch. Das sorgt für gute Laune. Und im Prinzip verstehen sie's immer.


© 1998 Die Presse

Last Updated:   07. März 2000

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