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    (Artikel: "Bruder Tschusch")


Februar 2000


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Source: Dialog, Februar 2000

Integration mit Hand und Fuß

Bruder Tschusch

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Alle sind nach außen hin dafür. Konkret praktizieren sie engagierte Privatleute tagtäglich: die Ausländer-Integration. Weil niemand etwas für den Ort kann, an dem er geboren wird.

Sie wurden in ihrer Heimat gefoltert oder mit nichts als einem Plastiksackerl in der Hand vertrieben. Sie wollen nicht als Soldaten „ethnisch säubern" oder können als Kinder nicht allein in der Ferne leben. Wer mit ihnen ins Gespräch kommt, ihre Geschichte hört, verliert die Angst vor dem „Fremden". Von Roland Schönbauer.

„Ich war verheiratet. Was ich jetzt bin, weiß ich nicht", erzählt Bahra Jakupovic, technische Zeichnerin in Wien-Simmering. „Zuletzt war ich bei der Identifizierung von 147 Leichen, besser gesagt: Skeletten. ­ Da war alles nix." Viel hat die 35jährige seit ihrem fluchtartigen 33-Kilometer-Marsch durch bosnische Wälder schon unternommen, um ihren Mann zu finden ­ vergeblich.

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„Wenn man sich passiv verhält", erzählt Mustafa Soleman, Marketingkonsulent einer Baufirma, von rassistischen Begegnungen auf Wiens Straßen, „ist das noch keine Garantie, daß man keine aufs Aug' bekommt. Ich hab mir schon konkret überlegt auszuwandern."

Menschen in der Bundeshauptstadt. Menschen, die sich ihre Herkunft oder Hautfarbe genausowenig ausgesucht haben wie du und ich. Menschen, für deren Integration sich andere ­ auch abseits der Hilfsprofis von Caritas und Diakonie ­ einsetzen. Mit Psychohilfe ohne Therapeutenkosten. Mit einem offenen Ohr für Folterberichte. Mit mutigem Auftreten gegen rassistische Kränkung. Mit Wurzelbehandlung ohne Krankenschein. Mit Rechtshilfe ohne Anwaltshonorar. Mit einer Bleibe ohne Miete.

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Die Bosnierin Jakupovic fand ihr erstes Obdach dank Maria Loleys Bewegung „Mitmensch". „Sie kann besonders gut zuhören", betont die Bosnierin, „da fühlst du dich gleich besser."

Bei Bassim Hana* aus Bag-dad stellte sich dieses Gefühl erst ein, als er und seine Familie nach einer Drei-Monats-Odyssee über die Türkei und Tunesien auf dem Flughafen Wien-Schwechat von Caritas-Helfern in Empfang genommen wurden. Kostenpunkt: umgerechnet 217.000 Schilling, rund das 100fache eines Türkei-Fluges. Zugleich war da „eine gewisse Verlorenheit", so Hana. „Ängste", analysiert Briefbomben-Opfer

Loley, „die ihnen hineingeprügelt und hineingetreten wurden, kriegen's nicht mehr los." Dem Ex-Offizier und Christen drohte durch einen Schubhaftbefehl die Abschiebung in den Irak und damit der Tod. Manuel Baghdi, einst selbst politischer Flüchtling aus Syrien, verhinderte das durch seine Jus-Kenntnisse. „Er stand unter enormem psychischen Druck ­ monatelang", sagt er über Hana. Inzwischen hat der ehemalige Spitzenbeamte Asyl und einen Job als Abwäscher. „Österreich" sagt Hana in seiner schlichten Wohnung in Tulln, „ist schon meine Heimat geworden." Holpriger Nachsatz: „Mit vollem Herzen!"

Genau dort sieht Loley die Wurzel für Diskriminierung: „Sie aus unserem eigenen Inneren auszugrenzen." Marion Kremla, Psychologin in Wien, hatte ein Herz und ein Zimmer für einen Verweigerer aus dem Bosnienkrieg.

„Seine Angst hautnah mitzubekommen ­ das war ein Schlüsselerlebnis für mich", sagt die Kursleiterin für Berufsorientierung heute. Und werkt Woche für Woche ehrenamtlich noch 15 Stunden in der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung. Häufiges Problem der Klienten: keine Krankenversicherung. Engagierte Zahnärzte springen hier kostenlos ein. „Wir haben auch schon zwei Geburten abgewickelt", erzählt Kremla, die gerade an einer Liste von möglichen ehrenamtlichen Medizinern arbeitet. Ärzte also, die nicht nach dem fremdenrechtlichen Status fragen, sondern helfen. Auch unfreiwillig Illegalisierten. Das sind zum Beispiel Menschen, die kein Asyl bekommen, die die Fremdenpolizei aber nicht abschieben kann. Der Staat gewährt weder Unterkunft noch Arbeitserlaubnis. „Dafür gibt's kein Konzept", empört sich Kremla. Anderes Beispiel: „Kinder." Kinder? „Ja, wenn die Großmutter sie in der Türkei aufgezogen hat und plötzlich stirbt, dürfen die Eltern sie nicht einfach nach Österreich holen." Denn auch beim Menschenrecht auf Familie beharrt unser Land auf seiner knappen Ausländerquote. Viele wollen weder Existenz noch Sprößling aufgeben und müssen ihr eigenes Kind über die Grenze schmuggeln, als wäre es etwas Illegales!

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Auch im Wiener Integrationshaus, das der Musiker Willi Resetarits alias Ostbahn-Kurti vor allem für Bosnien-Flüchtlinge gegründet hat, drückt der „Nebel der Unberechenbarkeit" (Marion Kremla) besonders auf die Seelen der nur vorübergehend in Österreich Geduldeten, etwa aus dem

Kosovo. „Man merkt eine große Anspannung, wenn sich das Ablaufdatum ihres Aufenthaltsrechts nähert", so Resetarits. Wer nichts von seinen Lieben weiß, kann die psychosoziale Begleitung der zwei Dutzend Betreuer gut brauchen. Bei der Finanzierung auch der Deutschkurse weiß „Dr. Kurt Ostbahn" meist Trost und Rat. So schaut das aus: Jährlicher Flüchtlingsball im Rathaus. Plus: Resetarits wirbt für eine Internet-Firma, das Honorar fließt ins Integrationshaus.

Die Integration der gut 100 Bewohner in den kleinen Wohneinheiten seines Projekts macht Fortschritte, flächendeckend funktioniert sie in Österreich nicht. Krankenpflegerin Christina Eze etwa berichtet von Wohnungsinseraten „nur für Inländer". Die Schwester des nigerianischen Priesters Aaron Ekwu, der bis zu seinem Tod 1989 in Wien wirkte, kennt die Praxis aus der afrikanischen Meßgemeinde: Bei der Wohnungsbesichtigung werden Österreicher schwarzer Hautfarbe zurückgewiesen. Knappe Begründung: „Gebürtige Inländer!" ­ „Da leiden viele darunter."

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Manchen ergeht es schlimmer: „Am Schwedenplatz hat mich ein Betrunkener als ,Tschusch' beschimpft", berichtet Mustafa Soleman. „Ein paar Jugendliche haben dann ihn beschimpft." Doch Zivilcourage ist selten. „Erst die Gleichberechtigung schafft die Basis, an diesen Ressentiments zu rütteln", ist Resetarits überzeugt. Folgt man relativ erfolgreichen anderen Städten, bedeutet das ein Antidiskriminierungsgesetz sowie passives Wahlrecht in Betrieb und Gemeinde. „Das sind Dinge, die dem ausländischen Mitbürger erst den aufrechten Gang ermöglichen."

Mustafa Soleman, seit seiner Geburt in Österreich, fällt er trotzdem schwer. „Ich sehe", erklärt der Sohn einer Österreicherin und eines Ägypters, „ziemlich arabisch aus. Das ganze Leben leide ich darunter. Ich bin auch schon als Jude beschimpft worden ­ das find' ich besonders originell."


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Last Updated: 02 Februar 2000

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