Text: Günter Brödl
Veröffentlicht auf dem Cover der LP "Ostbahn-Kurti
& Die Chefpartie"
Aber heute ist das anders. Heute kann ich über eine Band schreiben, wie ich es damals getan habe, ohne Einschränkungen. Es ist 1985, ich höre die Musik von OSTBAHN-KURTI & DIE CHEFPARTIE und weiß plötzlich wieder, daß Rock & Roll was mit Rebellion zu tun hat. Es war im Sommer 1974, als ich den Namen zum ersten Mal gelesen habe. Auf einer Postkarte mit der Bitte um Konzertankündigung, die mich in der Redaktion der "Musicbox" erreichte. Kollege WoIfgang Kos und ich waren überzeugt: Hier handelt es sich entweder um einen ganz großen Bluff oder um einen Haufen wahrhaft Besessener. Oder um beides. Ich entschloß mich zum Lokalaugenschein. Ein Vorstadt-Etablissement in Wien-Simmering, wo zwischen Heurigenbänken, reichlich ramponierter Nachkriegs-Eleganz und den Girlanden vom vorletzten Fasching vier - alles andere als vertrauenerweckende - Gestalten den schnellsten, härtesten und lautesten Rhythm & Blues spielten, den Wien je gehört hat. OSTBAHN-KURTI & DIE CHEFPARTIE schlugen über zwei Stunden lang mit Leidenschaft Krach, und das Publikum schlug zurück. Und trank mit den Herren Ostbahn-Kurti (Gesang, Harmonika), Josef Havlicek (Gitarre), Rudi Stolz (Baß) und Theo Tatic (Schlagzeug) um die Wette. Über ein Dutzend Bierleichen hinweg, und vor der Kulisse nicht enden wollender "Kurteee!, Kurteee!"-Ovationen bahnte ich mir den Weg zur Garderabe, um mit dem Lokalmatador Kontakt aufzunehmen. Aber Kurt und seine drei Musiker waren intensiv damit befaßt, ihrer gemeinsamen Karriere mit allerhand Handgreiflichkeiten ein jähes Ende zu bereiten, sodaß ich es vorzog, das Weite zu suchen.
Ein halbes Jahr später erreichte mich (über bis heute nicht restlos geklärte Schleichwege) eine Single: "Ollas wos i brauch," (tilt records 001), der erste und einzige Tonträger des Miniatur-Labels von Andreas Zech, damals Eigentümer eines Musikanlagen-Verleihs, bei dem OSTBAHN-KURTI (er ist gelernter Elektroinstallateur) als "Haustechniker" tätig war. "Ich hab in dem ganzen Geschäft nach keinen Menschen getroffen, der sich so wenig aus Geld und Karriere macht wie der Kurtl", sagte mir Zech. Und das sollte mir eine Warnung sein. Mein erstes (und letztes) Interview mit OSTBAHN-KURTI eröffnete er mit der Frage: "Oida, wos brennst?" Trotz anfänglicher Kommunikationsprobleme verbindet uns seit nunmehr zehn Jahren eine enge Freundschaft. Und ich hatte bald begriffen, daß für OSTBAHN-KURTI die "Branchengesetze" und die Spielregeln des Popzirkus nicht gelten. Insofern ist seine Geschichte auch nicht die Geschichte einer Karriere: 1976 veröffentlichte das auf alte Blues-Aufnahmen spezialisierte Label "Creolia" (München) seine erste LP "Antifrost Boogie", produziert von Andreas Zech, in nur drei Tagen (und Nächten) live im Studio eingespielt, und erstmals mit Mario Adretti an Orgel und Klavier. Die CHEFPARTIE spielte eine Handvoll Konzerte im süddeutschen Raum. Von Publikum und Presse teils mißverstanden ("Hat die Musikstadt Wien nichts anderes zu bieten als den disziplinlosen, obszön-provakanten Lärm dieser fünf Trunkenbolde?"), teils euphorisch gefeiert ("Das ist die Antwort des Wiener Beckens auf die Pretty Things!"). Das Wiener Becken ist zwar die Simmeringer Heide. Aber das mit den Pretty Things kommt der CHEFPARTIE ziemlich nahe. Die Things waren die (relativ) erfolglosen Zeitgenossen der Rolling Stones; erfolglos deshalb, weil sie w i r k l i c h häßlich, obszön, aufmüpfig und launisch waren. Apropos Launen: OSTBAHN-KURTI & DIE CHEFPARTIE waren und sind an manchen Abenden sagenhaft laut und gut. Und an anderen sagenhaft laut und schlecht.
Als Anfang 1977 "Nochtschicht", das zweite Album für "Creolia" fertiggestellt war, ging das Label bankrott. Einige hundert Exemplare wurden ausgeliefert, der Rest der Auflage ging mit der Konkursmasse unter. Durch das "Creolia"-Debakel wurde eine interessante musikalische Entwicklung abrupt unterbrochen: Songs wie z. B. das neunminütige Titelstück zeigen OSTBAHN-KURTI & DIE CHEFPARTIE bei dem Versuch, die Straßen-Epen eines Bruce Springsteen oder Southside Johnny für sich zu adaptieren.
In den nächsten acht Jahren war von OSTBAHN-KURTI & DER CHEFPARTIE nicht viel zu hören. Gerüchte vielleicht, Schnurren und Anekdoten, die OSTBAHN-KURTI zum legendären "wilden Hund" der österreichischen Rockszene (sic!) gemacht haben. Er hat zwischen 1977 und heute tatsächlich nur wenige Konzerte gegeben (1977 war er Gast in meinem Theater-Comix "Wem gehört der Rock and Roll?", im April 1983 gab er ein umjubeltes R&B-Heimspiel in der "Szene Wien"), und er ist mit seinen Songtexten in der "Österreichischen Dialekt-Anthologie" des Internationalen Dialekt-Instituts vertreten (was ihm allerdings fast unangenehm ist, denn "mit Dichten hat des gornix zum tun was i do sing").
Nach acht Jahren Pause kommt nun sein drittes Album, das erste mit reellen Chancen, ein größeres Publikum zu erreichen. Es ist kein Erinnerungs-Album geworden, und OSTBAHN-KURTI nicht (wie sein Chronist) sentimental. Die CHEFPARTIE 85 bringt eine neue Rhythmusgruppe ins Spiel, Charly Horak für Rudi Stolz (der sich nur noch seinem Altwarenhandel widmen will) am Baß, und Edi Jedelsky für Schlagzeuger Theo Tatic (der in seine Heimatstadt Dubrovnik zurückgekehrt ist).
Diese neue CHEFPARTIE setzt dort fort, wo sie nach "Nachtschicht" unfreiwillig pausieren mußte: auf dem "graden Weg" von R&B und Rock & Roll ("Ois hod sei End", "Du bist und bleibst a Weh", "I brauch kan Dokta", "Gheat si des?") zu anrührenden Soul-Schleichern ("Paß guat auf") und Rock-Balladen ("Blattschuß"). Einem Motown Evergreen wie "Wo hama denn den Fahrschein", der von Marvin Gaye bis CCR in den unterschiedlichsten Versionen aufgenommen wurde, können OSTBAHN-KURTI & DIE CHEFPARTIE ebenso ganz neue Facetten abgewinnen, wie dem Tränentreiber "Es ist besser du gehst", oder Springsteens "Feuer". Am Ende des Albums steht mit der Live-Aufnahme von "Tog und Nacht" das Dokument vom letzten gemeinsamen Auftritt der "alten" CHEFPARTIE mit Rudi Stolz und Theo Tatic, mitgeschnitten in der "Szene Wien" im April 1983.
Es ist sieben Uhr früh und es regnet immer noch. Höchste Zeit fürs große Finale. Obwohl der OSTBAHN-KURTI große Worte haßt: Weder Erfolg noch Mißerfolg werden ihn davon abhalten können, auch weiterhin ohne Spielregeln zu spielen seine Musik, seine Vision von einem wienerischen Rhythm & Blues. Das weiß ich.
Günter BRÖDL, 1985
© 1985 G. Brödl
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