16. Oktober 2000
Profil Nr. 42/2000, 16. Oktober 2000
Zuletzt stand er hier, in diesem Büro, ganz schwarz angezogen, und lieferte
das Gedicht ab, das er fürs profil-Poesiealbum - siehe rechts - verfasst hatte. So wie
früher, als er noch für die ORF-"Musicbox" gearbeitet hatte, verfügte sich
Günter Brödl persönlich zur Kassa des Hauses, um die Gage in bar entgegenzunehmen.
Er war guter Dinge. In einem Plastiksackerl hatte er die Fahnen seines neuen Buches dabei,
eines fiktiven Reiseführers über die "Rehpublik Österreich". Als er mir das
Konzept erklärte - nützliche Beschreibungen eines Fantasielands, das ausschließlich von
Rehen und Böcken bewohnt wird und Österreich in vielen Facetten ähnelt -, setzte er
sein herausforderndes, um Zustimmung heischendes Lachen auf: Schau her, was ich da
zusammengebracht hab.
So lachte Brödl oft. Er war süchtig nach der eigenen Fröhlichkeit. Der Spaß an der
eigenen Freud war ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Treibstoff für seine
gewaltige, eruptive Produktivität.
Schon als er noch Radiojournalist war - seine Stimme ist vielen Menschen, die heute um die
40 sind, aus der "Musicbox" oder dem "Ö3-Treffpunkt" noch vertraut -,
hockte er abends in den Redaktionen der Zeitschriften, die damals gegründet wurden, und
schrieb fremde Texte um. In einem obskuren Verlag erschien sein Debütroman "Tempo
City", der Brödls Intentionen bereits auf den Punkt brachte: schnelle, leicht zu
konsumierende Storys zu erzählen; die große amerikanische Welt leichtfüßig ins
Österreichische zu transponieren. Ziemlich bezeichnend, dass sein Lieblingsautor Stephen
King war, ein trashverdächtiger, supergeschwinder Schreiber, der eher vom Publikum als
von der Kritik geschätzt wird. Die Hochkultur war Brödl ernsthaft wurscht. Er vergrub
sich in Rhythm-and-Blues-Songs der sechziger und siebziger Jahre, liebte die Countrymusik,
als unsereiner noch das Radio abdrehte, sobald eine Steel-Guitar zu wimmern begann, legte
sich ein Archiv der seelenvollen Popmusik zu, das bald die Wohnung seiner Eltern im 15.
Bezirk sprengte.
Die Ostbahn-Kurti-Geschichte passierte ihm. Als Brödl gemeinsam mit Wolfgang Kos einen
Musikjahresrückblick der "Musicbox" gestaltete, tauchte in der Moderation die
Frage auf, wie ein amerikanischer Vorstadtmusiker namens Southside Johnny & the
Ashbury Jukes wohl in Wien heißen würde. Die Antwort ist österreichische Popgeschichte:
Ostbahn Kurti und die Chefpartie.
Die Frage der österreichisch-amerikanischen Zusammenhänge beschäftigte den Popautor
Brödl darüber hinaus. Er schlüpfte in die Gestalt besagten Ostbahn Kurtis und verfasste
Songtexte (die zuerst artfremd in Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden). Brödl
strickte eine Legende um den geheimnisvollen Kurtl, suchte per Inserat nach nicht
existierenden Ostbahn-Platten, sorgte für nicht zu befriedigenden Bedarf, bevor er
schließlich den realen Willi Resetarits für die Agenden seiner Kunstfigur gewann.
Das war der Durchbruch. Resetarits verstand sich prächtig mit dem Herrn Ostbahn und
machte diesen - und sich selbst - binnen weniger Jahre zum veritablen Star. Brödl konnte
sich in den Hintergrund zurückziehen und dichten. Seine Übertragungen bekannter und
weniger bekannter Blues-, Rock- und Countryklassiker ins Österreichische sind Weltklasse.
Sie destillieren das Lebensgefühl aus den Originalen und bereiten sie so sorgfältig im
Wiener Dialekt auf, dass selbst großartige Songs wie "Factory" von Bruce
Springsteen als Ostbahn-Coverversion ("Arbeit") nicht nur nicht abstinken,
sondern die Qualität des Originals noch einmal übertreffen.
Brödl war - neben Roland Neuwirth - der einzige österreichische Songtexter, der
Geschichten erzählen konnte, die bis ins allerletzte Detail stimmen, an denen jeder
Tonfall, jede Klangfarbe, jede Pointe, jede sprachmelodische Wendung perfekt sitzen.
Auf dieser Grundlage baute der Ostbahn Kurti seine Glaubwürdigkeit auf.
Das Spaßprojekt, als das die Ostbahn-Geschichte Mitte der achtziger Jahre gezündet
worden war, verwandelte sich aus Wachstumsgründen über die Jahre in ein ziemlich
umsatzstarkes Unternehmen. Zu den regelmäßig veröffentlichten Ostbahn-Platten (zuerst
mit vielen Coverversionen, später mit einem immer größeren Anteil an
Eigenkompositionen) schrieb sich Brödl literarische und filmische Paralleluniversen. Als
Autor der Ostbahn-Krimi-Reihe ("Blutrausch", "Kopfschuss",
"Hitzschlag", "Peepshow" - mit Peter Hiess) trat er zum ersten Mal
auch öffentlich aus dem Schatten seiner Figur und erntete die Anerkennung, die ihm
längst zugestanden war.
Er produzierte manisch - ein weiterer Ostbahn-Krimi, sagte er mir zuletzt, sei schon
fertig, er wolle aber zwischendurch noch einen schreiben, das sei besser für die
Gesamtdramaturgie.
Natürlich war Günter Brödl selbst eine Rock'n'Roll-Figur. Er lebte aus dem Bewusstsein
des Rock'n'Roll heraus und liebte das Bühnenlicht und die Abgründe der Nächte nach
absolvierten Auftritten. Als Beleuchter war er Mitglied der Ostbahn-Bands, die Tourneen
waren ihm bis zuletzt spaßige und erfüllende Ausritte. Das Schicksalhafte, das so ein
Rock'n'Roll-Leben unter der Oberfläche trägt, war ihm durchaus bewusst. Er kannte wie
kein anderer die Legenden um die frühen Abschiede ganz großer Zeitgenossen, auf diversen
Ostbahn-Platten finden sich (siehe etwa den Song "Shooting Star") auch
zahlreiche Grußadressen an große Verstorbene der ganz großen Rock'n'Roll-Familie.
Es hat wenig mit Brödls Bedeutung für die österreichische Popgeschichte zu tun, aber:
Er war ein herzlicher, ein ungemein lieber Mensch. Er verliebte sich in Songs und in
Menschen. Zynismus und Brutalität - Eigenschaften, die in seiner Branche sozusagen
erfunden wurden - konnte er nicht einmal buchstabieren.
Günter Brödl starb in der Nacht von Montag auf Dienstag vergangener Woche plötzlich und
völlig unerwartet in seiner Wiener Wohnung. Er hinterlässt seine Frau und zwei Töchter.
Der Ostbahn Kurti hat einen Song im Repertoire, der heißt: Na, so wirst ned oid.
Jetzt ist dieser Titel ein Vermächtnis.
© 2000 Profil | Last Updated: 29. Oktober 2000 |
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