Er lebte den Rock'n'Roll

profil-Journalist Christian Seiler über Günter Brödl, der in der Nacht auf Dienstag einem plötzlichen Herztod erlag.

Zuletzt stand er hier, in diesem Büro, ganz schwarz angezogen, auch die Haare, die zwischendurch einmal ziemlich rot gewesen waren, dunkelschwarz, und lieferte das Gedicht ab, das er fürs profil-Poesiealbum verfasst hatte. So wie früher, als er noch für die ORF-Musicbox gearbeitet hatte, verfügte sich Günter Brödl persönlich zur Kassa des Hauses, um die Gage in bar entgegenzunehmen.

Er war guter Dinge. In einem Plastiksackel hatte er die Fahnen seines neuen Buches dabei, eines fiktiven Reiseführers über die "Rehpublik Österreich". Als er mir das Konzept erklärte - nützliche Beschreibungen eines Fantasielands, das ausschließlich von Rehen und Böcken bewohnt wird und Österreich in vielen Facetten stark ähnelt - setzte er sein herausforderndes, um Zustimmung heischendes Lachen auf: Schau her, was ich da schon wieder zusammengebracht hab.

Eruptive Produktivität

So lachte Brödl oft. Er war süchtig nach der eigenen Fröhlichkeit. Der Spaß an der eigenen Freud' war ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Treibstoff für seine gewaltige, eruptive Produktivität.

Schon als er noch Radiojournalist war - seine Stimme ist vielen Menschen, die heute um die 40 sind, aus der Musicbox oder dem Ö3-Treffpunkt noch vertraut - hockte er abends in den Redaktionen der Zeitschriften, die damals gegründet wurden, und schrieb fremde Texte um. In einem obskuren Verlag erschien sein Debütroman "Tempo City", der insgesamt eher unbemerkt blieb, aber Brödls Intentionen bereits auf den Punkt brachte: schnelle, leicht zu konsumierende Storys zu erzählen; die große, amerikanische Welt leichtfüßig ins Österreichische zu transponieren. Ziemlich bezeichnend, dass sein Lieblingsautor Stephen King war, ein trashverdächtiger, supergeschwinder Schreiber, der eher vom Publikum als von der Kritik geschätzt wird.

Die Hochkultur war Brödl ernsthaft wurscht. Er vergrub sich in Rhythm-and-Blues-Songs der 60er und 70er Jahre, liebte die Countrymusik, als unsereiner noch das Radio abdrehte, sobald eine Steel-Guitar zu wimmern begann, legte sich ein Archiv der seelenvollen Popmusik zu, das bald die Wohnung seiner Eltern im 15. Bezirk sprengte.

Die Geburt des Ostbahn-Kurti

Die Ostbahn-Kurti-Geschichte passierte ihm dann. Als Brödl gemeinsam mit Wolfgang Kos einen Musikjahresrückblick der Musicbox gestaltete, tauchte in der Moderation die Frage auf, wie amerikanische Vorstadtmusiker wie Southside Johnny & the Ashbury Jukes wohl in Wien heißen würden. Die Antwort, eh klar: Ostbahn Kurti und die Chefpartie.

Die Frage der österreichisch-amerikanischen Zusammenhänge beschäftigte den Popautor Brödl weiterhin. Er schlüpfte in die Gestalt besagten Ostbahn Kurtis und verfasste Songtexte, die in Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden. Brödl strickte eine Legende um den geheimnisvollen Kurtl, suchte per Inserat nach nicht existierenden Ostbahn-Platten, bevor er schließlich den realen Willi Resetarits für die Agenden seiner Kunstfigur gewann.

Willi wird Kurt

Das war der Durchbruch. Resetarits verstand sich prächtig mit dem Herrn Ostbahn und machte diesen - und sich selbst - binnen weniger Jahre zum veritablen Star. Brödl konnte sich in den Hintergrund zurückziehen und dichten. Seine Übertragungen bekannter und weniger bekannter Blues-, Rock-, und Country-Klassiker ins Österreichische sind Weltklasse. Sie destillieren das Lebensgefühl aus den Originalen und bereiten sie so sorgfältig im Wiener Dialekt auf, dass selbst großartige Songs wie "Factory" von Bruce Springsteen als Ostbahn-Coverversion nicht nur nicht abstinken, sondern die Qualität des Originals noch einmal übertreffen.

Brödl war - neben Roland Neuwirth - der einzige österreichische Songtexter, der Geschichten erzählen konnte, die bis ins allerletzte Detail stimmen, an denen jeder Tonfall, jede Klangfarbe, jede Pointe, jede sprachmelodische Wendung, perfekt sitzen.

Das war auch die Grundlage, auf der der Ostbahn Kurti seine Glaubwürdigkeit aufbaute.

Umsatzstarkes Unternehmen

Das Spaßprojekt, als das die Ostbahn-Geschichte Mitte der 80er Jahre gezündet worden war, verwandelte sich aus Wachstumsgründen über die Jahre in ein ziemlich umsatzstarkes Unternehmen. Zu den regelmäßig veröffentlichten Ostbahn-Platten (zuerst mit vielen Coverversionen, später mit einem immer größeren Anteil an Eigenkompositionen) schrieb sich Brödl literarische und filmische Paralleluniversen. Als Autor der Ostbahn-Krimi-Reihe ("Blutrausch", "Kopfschuss", "Hitzschlag", "Peepshow" - mit Peter Hiess) trat er zum ersten Mal auch öffentlich aus dem Schatten seiner Figur, erntete die Anerkennung, die ihm längst zugestanden war, und genoss es sichtlich.

Er produzierte manisch - ein weiterer Ostbahn-Krimi, sagte er mir bei seinem letzten Besuch im profil, sei schon fertig, er wolle aber zwischendurch noch einen schreiben, das sei besser für die Gesamtdramaturgie.

Natürlich war Günter Brödl selbst eine Rock'n'Roll-Figur. Er lebte aus dem Bewusstsein des Rock'n'Roll heraus und liebte das Bühnenlicht und die Abgründe der Nächte nach absolvierten Auftritten. Als Beleuchter war er Mitglied der Ostbahn-Bands, die Tourneen waren ihm bis zuletzt spaßige und erfüllende Ausritte. Das Schicksalhafte, das so ein Rock'n'Roll-Leben unter der Oberfläche trägt, war ihm durchaus bewusst. Er kannte wie kein anderer die Legenden um die frühen Abschiede ganz großer Zeitgenossen, auf diversen Ostbahn-Platten finden sich (siehe etwa den Song "Shooting Star") auch zahlreiche Grußadressen an große Verstorbene der ganz großen Rock'n'Roll-Familie.

Günter Brödl starb heute nacht plötzlich und völlig unerwartet an Herzstillstand in seiner Wiener Wohnung. Er hinterlässt seine Frau und zwei Töchter. Der Ostbahn Kurti hat einen Song im Repertoire, der heißt "Na, so wirsd ned oid". Seit heute ist dieser Titel ein Vermächtnis.

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