Ostbahn-Historie zu "OSTBAHN - Die komplette Box" von Christian Seiler


September 2010


OSTBAHN - DIE KOMPLETTE BOX

Irgendwann in den achtziger Jahren hatte Günter Brödl eine Idee. Er war damals Redakteur der Zeitschrift „Wiener“ und zuständig für Musik, und er wollte wissen, wie einem weltläufigen Engländer wohl die neuesten Popplatten aus Österreich gefallen. Brödl nahm neue Alben von Wolfgang Ambros und Rainhard Fendrich und Chuzpe und Sigi Maron auf C-90 Kassetten auf und schickte sie nach London zu Tony Parsons, der beim Branchenleader „New Musical Express“ die Rolle des Scharfrichters innehatte, und er erwartete sich sicher keine Elogen auf den Austropop.

Tony Parsons ließ sich nicht lumpen. Er demontierte, was er da hörte, nach allen Regeln der Kunst, und das war lustig zu lesen und auch durchaus aufschlussreich – außer, natürlich, man mochte den Austropop eh so wie er war. Nur bei einem Album, das Brödl auf einer Extrakassette in das Kuvert geschmuggelt hatte, weigerte sich Parsons strikt, es zu verreißen. Das Album hieß „Ostbahn Kurti & die Chefpartie“, bestand aus eingewienerten Coverversionen von Songs, die längst zum Kanon der Rock- und Soulmusik zählten, und Parsons, dessen Leidenschaft damals dem Punk gehörte, urteilte nur über den Sound, den er „brontosaurisch“ fand, und den Rest fand er vor allem „unverständlich“ und „aus jeder Zeit gekippt“, und in diesen Formulierungen schwang unmissverständlich eine gewisser Respekt mit.

Ich teilte damals in der „Wiener“-Redaktion das Zimmer mit Günter Brödl, was eine erhebliche Passivrauchbelastung und permanente Lehrstunden in musikalischen Zusammenhängen bedeutete. Ein paar Monate vorher hatte er mir eine C-60-Kassette mit zwölf Liedern in die Hand gedrückt und dazu eine Kladde mit Zetteln, auf der mit mechanischer Schreibmaschine Songtexte geschrieben standen, Songtexte auf Wienerisch, die zu den Liedern auf der Kassette gehörten, und als ich zum ersten Mal Springsteen und Marvin Gaye und Southside Johnny & the Asbury Jukes hörte und mir dazu „Blattschuss“, „Wo hamma denn den Fahrschein“ und „Stadt aus Stan“ vorstellte, gefielen mir zwar die Stories, die sich der Brödl da ausgedacht hatte, aber ich konnte mir beim besten Willen noch nicht vorstellen, wie die Songs in ihrem neuen Gewand einmal klingen könnten, wenn der ominöse Ostbahn Kurti, der als Textautor auf jeder Seite stand, einmal zu musizieren beginnen würde.

„Brontosaurisch“ und „aus jeder Zeit gekippt“. Tony Parsons hatte Mitte der achtziger Jahre Recht, als er das Debüt des damals noch anonymen Ostbahn – zur größten Zufriedenheit Günter Brödls – so etikettierte, und ich bin erstaunt, wie gültig die gerade einmal so hingesagte Interpretation der Ostbahn-Musik heute noch ist.
Das Brummen, das Krachen, das Dröhnen. Die Groove, die Kraft, der Witz. Das Pathos der unbestreitbaren Gefährlichkeit. Das Laute im Leisen. Tempo, Entschlossenheit, Grobschlächtigkeit, Wucht. Der Ostbahn-Kurti präsentierte sich schon beim ersten Auftritt als Legende seiner selbst, jenseits aller musikalischen Moden, und jenseits aller Moden ist diese Musik geblieben. „Ostbahn lebt“, das Motto kursierte ja schon lang bevor der Kurtl seinen ersten Auftritt gehabt hatte, und es stimmte, denn der Ostbahn hatte in der Fantasie Günter Brödls längst Gestalt angenommen, hatte Duftmarken in Litera­turzeitschriften und auf der Theaterbühne hinterlassen, bevor schließlich im „Schutzhaus am Schafberg“ zum ersten Mal Willi Resetarits hinter den schwarzen Ray-Bans des Ostbahn auftauchte, und damit begann die Geschichte, die einmalig ist in der österreichischen Rock’n’Roll-Geschichte.

Das Großartige am Ostbahn Kurti-Entwurf war, dass ihm keine clevere Geschäftsidee zugrunde lag, sondern fundierte Begeisterung. Der Name Ostbahn Kurti war zum ersten Mal in einer Sendung der legendären Ö3-„Musicbox“ gefallen, als Sendungsleiter Wolfgang Kos – inzwischen Direktor des „Wien Museums“ – in einer Doppelmoderation mit Günter Brödl erörterte, wie die amerikanische Vorstadtband „Southside Johnny & the Asbury Jukes“ wohl in Wien heißen würde. Die Antwort lautete mit Bestimmtheit „Ostbahn Kurti & die Chefpartie“, und es wurde zwar nie letztgültig geklärt, wer der beiden das Copyright auf den Namen hatte, doch Brödl nistete sich sehr schnell im Kopf der imaginären Figur ein, begann die Popwelt von Simmering aus zu denken und schrieb Songtext um Songtext, Stories aus dem Leben fröhlicher und gar nicht so fröhlicher Verlierer, die sich selbst Trost genug sein müssen mit ihren Träumen, kleinen Fluchten, großen Gefühlen. Dann war der Ostbahn Wirklichkeit.

Brödl traf den Ton sofort, und Willi Resetarits traf Brödls Ton sofort. Beide behaupteten übrigens immer, der jeweils andere hätte sie überredet, das gemeinsame Ostbahn-Projekt zu starten, aber die kleinen Eitelkeiten entpuppten sich bald als völlig nebensächlich. Vom ersten Auftritt am Schafberg an war klar, dass der Ostbahn-Kurti nur von Brödl und Resetarits gemeinsam getragen werden konnte, so groß war die Figur, so breit, so tief. Quasi aus dem Stand entwickelte sich die begeisterte Idee Günter Brödls zur seelenvollsten Erfolgsgeschichte der österreichischen Popgeschichte.

Der Ostbahn-Erfolg setzte sich aus zahlreichen Bestandteilen zusammen. Da waren erstens die Songs, am Anfang fast ausschließlich Coverversionen von guter, erprobter Rockliteratur. Bruce Springsteens „Feia“ war schon vor Ostbahn Kurti ein Hit gewesen, genauso wie Steve Millers „Joker“ oder Eric Claptons „57er Chevy“, ganz zu schweigen von den zahlreichen weniger bekannten, aber erstklassig abgehangenen Titeln von ZZ Top, Bad Company oder anderen Raubeinen aus der großen, weiten Rock’n’Roll-Welt.

Wie Brödl die Übertragung der Texte aus dem amerikanischen Phrasenmainstream ins Wienerische besorgte, war grandios. Obwohl viele Vorlagen erstklassig waren, schaffte er es immer wieder, ihre Atmosphäre in der wienerischen Version noch zu übertreffen. Er konnte den großen amerikanischen Klischees Leben einhauchen, indem er sie wienerisch erdete, geradezu unschuldig von der Spaghettiwestern-Bühne auf die Simmeringer Heide herunterholte und ihnen dort den nötigen Auslauf gab.

Zweitens passte der Sound der Chefpartie. Dieser Sound war laut, hart, elektrogitarrenorientiert und selbstbewusst anachronistisch. Der Sound orchestrierte perfekt den Strauß an Geschichten, den die Figur Ostbahn jeweils feilbot. Er lud zum Schwitzen ein, zum durstig werden, zum trinken, und es wäre Schönrednerei, wenn man glaubte, die Affinität zum Alkohol, die der Ostbahn Kurti im erfundenen wie später auch im wirklichen Leben zelebrierte, hätte dem Geschäft geschadet.

Natürlich, drittens: das Charisma des Ostbahn. Niemand musste dem Willi Resetarits die Figur Ostbahn erklären. Er kannte diesen Typen längst, weil er ihn zuweilen aus dem Augenwinkel im Spiegel gesehen hatte. 1985 sprach er noch davon, dass er ein bisschen Angst vor der Entdeckung der eigenen dunklen Seiten habe, zu der ihn der Ostbahn Kurti verführerisch einlade. Von dieser Angst war dann keine Rede mehr, und die dunklen Seiten sind längst zu offenen Büchern geworden, in denen viel über die Karriere des Ostbahn nachzulesen ist.
Diese Karriere funktionierte gegen die Mechanismen des Markts, vielleicht, weil sämtliche Protagonisten gar nicht wussten, dass der Markt Mechanismen besitzt, beziehungsweise: was ist das, Markt? Als 1985 vor 600 Zuschauern im für 300 Menschen kommissionierten Schutzhaus am Schafberg das erste Ostbahn-Konzert über die Bühne ging, lautete die einzige Vorgabe an den Ostbahn Kurti: wenn genug Leute eine Karte kaufen, spielen wir noch ein Konzert. Wenn genug Leute unsere Platte kaufen, nehmen wir vielleicht noch eine auf. Wenn wir mit der Musik eventuell Geld verdienen, stecken wir dieses Geld in das Projekt Ostbahn XI, damit auch die Chefpartie einmal so klingt wie die Bläsertruppe der Asbury Jukes, s.o. Die Betriebsphilosophie erschöpfte sich darin, Spaß an der Freude zu haben und das deutlich genug zu kommunizieren. Kurz: hier waren Aficionados am Werk, Verstärkervollaufdreher, Amateure im besten Sinn, hitparadenmäßige Analphabeten, Verweigerer moderner Unsitten wie Marketing, Promotion u. dergl.

Das Ergebnis ist bekannt. Binnen weniger Saisonen hatte der Ostbahn Kurti die österreichische Szene geschnupft. Ambros, Fendrich, wer bitte? Ostbahn machte, ohne sich zu verbiegen, einen großen Bogen um das Phänomen Austropop, unter anderem deshalb, weil Günter Brödl schöne Metaphern für was-der–Kurtl–eigentlich–macht erfand, zum Beispiel die Legende vom Favorythm and Blues, jener Kunstform, die der Ostbahn Kurti gemeinsam mit King Karasek, dem frühpensionierten Vater des Chefpartie-Gitarristen Prinz Karasek, im Hinterzimmer von dessen Zimmer-Küche-Wohnung in Wien X entwickelt haben soll. Willi Resetarits tat als Ostbahn sein übriges: was er als Moderation zwischen zwei Songs auf der Bühne ablieferte, war eine sehr eigenständige Form der Stand-Up-Comedy, die ein bissel aus Günter Brödls Legenden, zum größten Teil aber aus Resetarits’ Improvisationsleistungen bestand: unverkennbar im zeitlosen sprachlichen Sound, pointensicher, niemals so wie am Vorabend, denn sonst hätte sich der Mann auf der Bühne ja gelangweilt und das war per Dekret verboten.

Die Leichtigkeit, mit der Ostbahn Kurti immer größere Erfolge aberntete, hatte etwas Verführerisches. Goldene Schallplatten, Nummer Eins der Album-Charts, tausend, dreitausend, vierzehntausend Menschen bei den Live-Konzerten; in den ersten Reihen des Publikums angelernte Fans, die jeden Song auswendig mitsingen und dem manchmal angeheiterten Ostbahn notfalls soufflieren konnten; die „Chefheads“ – der Name folgt den legendären Fanhorden der amerikanischen Kultband „Grateful Dead“, die sich stolz „Deadheads“ nannten – eiferten um Rekorde beim Konzertbesuch; eine Merchandising-Abteilung konstituierte sich, bot T-Shirts an, auf denen sinnfällige Ostbahn-Sprüche prangten: „Leiwaund/Oda Oasch“, „Mia is wuascht“, das Zeug taugte erstklassig zur Identitätsstiftung und verkaufte sich nebenbei ziemlich gut.

Ostbahn quittierte den Rummel mit ironischem Stolz. Als er einmal nach absolviertem Konzert in Telfs hinter der Bühne stand und auf die Zugabe wartete, ließ er durch einen Spalt im Vorhang einen langen, zufriedenen Blick über das Publikum schweifen, das hartnäckig den Sprechchor „Kurti, Kurti“ skandierte. Dann sagte er zur Erklärung nur das eine Wort: „Alltag“.

Willi Resetarits genoss den Ruhm des Ostbahn Kurti. Er schrieb die Autogramme mit Inbrunst, er wich der Begegnung mit seinen Fans nicht aus, manchmal sah es sogar so aus, als suche er sie. Mehr als einmal ließ er sich zu einem Zeitpunkt, zu dem er aber nun wirklich und zwar spätestens ins Bett gehört hätte, von irgendwelchen Nachtratten zurück an den Tresen holen und von zwei auf drei Promille aufspriten. Die Zieher, von denen er in vielen seiner Songs berichtete, die vergeigten Nächte, das von heute auf morgen Verloren-Gehen, hat er Stunde für Stunde persönlich abgearbeitet.

Um es so zu sagen: Zuerst hat sich der Ostbahn den Willi Resetarits so hergerichtet, wie er es für angemessen hielt. Fragwürdige Herkunft, böse Freunde, hässliches Reden, Macho-Allüren, lange Nächte, laute Musik, zuviel Bier. Diesen Ostbahn hatten die Massen gern. Sie hatten ihn drei, vier Saisonen auf höchstem Niveau gern, dann übernahm, langsam aber sicher, Willi Resetarits die Kontrolle über den Ostbahn und drehte den Lautstärkeregler nach links, kramte im Kastl mit den Country-Platten und diversifizierte das inzwischen zum Unternehmen angewachsene Projekt Ostbahn mit großem Verantwortungsbewusstsein.

Willi Resetarits hat mir einmal gesagt: „Wenn ich etwas über den Ostbahn-Kurti wissen muss, lese ich in den Songtexten nach.“ Ich höre mir die Ostbahn-Geschichte also an, von vorne nach hinten, 14 Alben lang, ein Tagesprogramm. Es berührt mich, die Platten wieder zu hören. Ich genieße die verschwenderische Kraft des Debüts „Ostbahn Kurti & die Chefpartie“ mit den Höhepunkten „Feia“ und „Blattschuss“ und „Stadt aus Stan“. Ich staune über die Akribie, mit der die darauf folgende „Live“-Platte dem Vorbild des „The Who“-Albums „Live at Leeds“ folgte und erinnere beim Hören von „Ruster Rasta“ das vergnügliche Chaos der Livekonzerte dieser Tage. Ich lasse mich von den Hymnen auf „A schene Leich“ wegblasen, Stichwort „Schee schee schee“ oder „A neiche Schoin“, Songs, die von der Bühne herunter bedingungslos Druck machten und das Publikum augenblicklich aus der Reserve holten, und ich höre immer wieder die tiefe Wahrheit des Ostbahn Kurti, wenn er „Na so wirst ned oid“ singt und seine Zuhörer zwischen den Zeilen anbettelte, ihn nicht beim Wort zu nehmen.

„Liagn & Lochn“ ist eine Wundertüte, aus der neben der vielleicht wahrhaftigsten Ostbahn-Ballade „Arbeit“, Brödls genialer Übertragung von Springsteens „Factory“ ins Favoritnerische, auch Countrytöne ostbahnisiert werden, wie die Titelnummer von Townes van Zandt, die im Original „At my window“ heißt. Gleichzeitig gehen aber Chefpartie und ihr Dichter unbekümmert ihren Leidenschaften nach, kaum verhohlene sexuelle Abenteuer kriegen mit hoher Voltage aus Karl Ritters Stromgitarre ihre gültige Form, und die Rockstarabenteuer, die plötzlich erlebt werden müssen, nehmen in „Romeo, Romeo“ Gestalt an samt dem Grinsen über sich selbst.

Schwer zu sagen, welches Album aus diesen frühen neunziger Jahren am kräftigsten ist, am dichtesten. „½ so wüd“ ist eine manchmal schon recht besinnliche Ergänzung zu „Liagn und lochn“, Balladen wie John Hiatts „Wia im Kino“ oder die Chefpartie-Komposition „Des Glück wohnt a Tia weida“ setzen einen neuen Ton, einen Ton, der auf „A blede Gschicht“ um Tex-Mex-Schlager („Radl nach Rio“) und Country-Klassiker („Zuckagoschal“) erweitert wird. Noch immer steht die Band ordentlich unter Strom, und dass sie sich nichts scheißt, beweist sie mit der wirklich lustigen Zappa-Paraphrasierung „Bertl Braun“ – der sardonische Titel brachte der Band sogar Radioverbot, also gefährliche Credibility ein, die man jederzeit gerne im Emfpang nahm.

Aber „A blede Gschicht“ ist ein Wendepunkt. Das Album – reich, grob, fein, laut, leise, lustig, entschlossen, politisch, quatschköpfig, melancholisch – ist das Maximum, wozu Ostbahn Kurti & die Chefpartie sich gemeinsam entschließen können. Die beiden Livealben „Trost und Rat“ und „Saft und Kraft“ – das eine akustisch eingespielt, das andere angesteckt – sind bereits eine Bilanz, eine Zusammenfassung der Chefpartiejahre mit ein paar großartigen Ergänzungen wie den Balladen „Feiertog“ und „Oid & grau“, und die Gitarre, die Karl Ritter auf seiner Komposition „Gspensta“ spielt, ist Weltklasseblues, kein bisschen weniger.

Jetzt wurden die Platten leiser, weil sich der Ostbahn zusehends erwachsener fühlte und den Arbeitstitel Kurti gegen den Vornamen Kurt eintauschte, so wie seine Chefpartie gegen Kurt Ostbahns Kombo. Die Kombo bestand aus großartigen Musikern, die noch dazu nette Leute waren, und sie traf sich mit dem Bedürfnis des Ostbahn, andere Geschichten – beziehungsweise: seine Geschichten anders – zu erzählen. „Espresso Rosi“, das Debüt der „Kombo“, ist eine geradezu literarische Platte. Brödls Texte sind in ihrer Anlage Erzählungen, die sich die Band mit großer Sorgfalt und viel Gefühl zurechtlegt, um sie in Lieder zu übersetzen, und der Sound ist plötzlich kammermusikalisch und nicht mehr breitbeinig und röhrend, und die Stories sind viel nachdenklicher, und das Trinken und das Alleinsein sind nicht mehr nur romantisch, sondern schon auch ein Problem.

„Espresso Rosi“ erfand den Ostbahn neu, rückte ihn in einen intimeren Rahmen, und während die Klänge so fein gestrickt und leise wurden, erinnerten sich Günter Brödl und Willi Resetarits daran, dass ihr gemeinsames Juxprojekt jetzt auch schon zehn Jahre lang dauerte, und sie ließen den Ostbahn auch in anderen Zusammenhängen auftreten. Es entstanden Ostbahn-Krimis, in denen Brödl seine Splatter-Leidenschaften auslebte, während Willi Resetarits die Radiosendung „Trost & Rat“ übernahm, in der er seine Qualitäten als volkstümlicher Entertainer auf höchst sympathische und erfolgreiche Weise auslebte – die Wildheit und Gefährlichkeit der frühen Jahre kam freilich am Sonntag zu Mittag auf Radio Wien nicht mehr so ungefiltert herüber wie in der „Na so wiasd ned oid“-Zeit, sondern charmanter, verklausulierter, verschmitzter – schon wieder erwachsener. Ein Ostbahn-Film im Kino. Willi Resetarits engagierte sich für das Integrationshaus, eine bitter nötige Flüchtlingseinrichtung, auch die Politik wuchs in die Ostbahn-Geschichte hinein.

Das nächste Album „Reserviert fia zwa“ zeigt vor allem, aus was für erstaunlichen Musikern die „Kombo“ besteht. Das Album ist eine Reise durch die Spielarten der Rockmusik, sie legt bei harten, groovigen Funk-Titeln genauso an wie in echter Schlagernähe, und der Herr Ostbahn verwickelt sich in Beziehungsgeschichten und ein bisschen Melancholie über das Früher, als alles noch ein bisschen leichter ging („Wann se’s mia 2 gebn“).

„50“ ist schließlich das letzte Ostbahn-Album, wo alle miteinander aus dem Vollen schöpfen. „50 (verschenkte Jahre im Dienste der Rockmusik)“ zeigt den Kurt und die Band in bester Laune, beweist, dass sie Soul („Wea is ea und wos is ea zu dia“) und Texmex („I reiss o auf Mexico“) genauso drauf haben wie ewige Hadern („Scho Komisch Wia Schnoe De Zeit Vageht“) und tief empfundene Bluesballaden („Amoi daham“). Die Virtuosität der Band und ihr tiefes Einfühlungsvermögen machen das Album zu einem feinen, filigranen, reifen Stück Ostbahn.

Am 10. Oktober 2000 stirbt Günter Brödl an einem Herzinfarkt. Das Album „Ohjo“ war geschrieben, aber noch nicht aufgenommen, und das Fertigstellen der Platte, das Weitermachen nach dem Verlust des spirituellen Zentrums, ist ein heroischer Akt der Partie, um sich zu trösten, einander zu versichern, dass man für einander da ist, das Richtige weiß, das Richtige tut. Der Kummer und der Respekt vor dem Verlust sind zu hören – aber nur zwischen den Zeilen, Brödl hatte schließlich kein melancholisches Album geschrieben, und das Ziel der Band war es, ein Album zu machen, das dem Brödl gefallen würde, und wenn es ihm gefiele, wäre er ja nicht tot, deshalb sollte man den Kummer auch nicht hören – aber man hört ihn halt doch ein bisschen, und das Album ist dennoch und deshalb besonders schön.

Es war augenblicklich klar, dass mit dem Tod Brödls auch der Ostbahn-Kurti keine Zukunft mehr haben würde. Für Willi Resetarits war das eine Entscheidung der Würde und des Respekts, und das einzige Projekt, das er dem Kurtl noch zugestand, war die Vertonung jener Brödl-Texte, die im Nachlass auftauchten. Sie wurden zum Album „Wann de Musik vuabei is“, und dieses Album hat – nicht nur mit dem Titeltrack – so berührende, so herzergreifende Momente. Die Hank-Williams-Nummer „A Haus miteinand“, wo der Kurtl leise Countrymusik so entschlossen und grimmig singt wie eine Rock’n’Roll-Hymne, oder den Cajun-Kracher „Spät in der Nocht“, wo sich der späte Kurtl, den Abschiedsgruß schon auf den Lippen, so vital und präsent zeigt wie ganz am Anfang, nur nicht ganz so laut.

Im Jahr 2003 stellte der Ostbahn dann auch seine Live-Aktivitäten ein, und er tat auch das an einem Ort, der dafür eine spezielle Eignung hatte, im „Gasthaus Quell“ in der Reindorfgasse im Fünfzehnten. In der Reindorfgasse war der Brödl aufgewachsen, also auch beim Quell, und in der Wohnung der Eltern hatte er einen Teil seines Plattenlagers untergebracht, so dass er immer, wenn er etwas suchte und dann gefunden hatte, im Quell ein Seidl Bier zur Beruhigung trinken konnte.

Dort spielte der Ostbahn sein letztes Konzert. Ein kleines Konzert, ein ruhiges Konzert, es ist auf dem finalen Album „Ein Abend im Gasthaus Quell“ dokumentiert, das diese Box abschließt. An diesem Abend kann man miterleben, wie sich manche Hadern von ganz am Anfang ausgewachsen, wie sie ihre schiere Muskelmasse abgelegt hatten, um seelenvoll federnd noch einmal aufzutreten. „Na, so wirst ned oid“. Eben doch. Der Ostbahn auf seinem Platz neben dem Kamin, in bester Stimmung. Vielleicht kein Rocker mehr, aber bestimmt ein Mann, der ganz genau weiß, was der Blues ist. Die Band, hier beim „Quell“ einmal noch eine Band, dann in Auflösung, weil das, was sie vorgehabt hatte, jetzt erledigt war.

Der Ostbahn-Kurti war schon eine Legende, bevor es ihn gab. Es war sein Auftrag, eine Legende zu sein, und den hat er wahrgenommen und erfüllt. Von der Legende ohne Werk zu einer Legende wegen des Werks – der Weg des Ostbahn-Kurti, des Kurt Ostbahn ist eine Legende für sich, ein zutiefst menschlicher Weg durch die Fährnisse der Kunst. Und umgekehrt.


Christian Seiler


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Last Updated:   27. September 2010

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